Süddeutsche Zeitung

Impfung:Gefährlicher Impfstoff-Engpass

In Deutschland mangelt es an Impfstoffen. Prekär könnte die Situation beim Keuchhusten werden: Bei der hochgefährlichen Krankheit scheint es auf längere Sicht eine Lücke zu geben.

Von Christina Berndt

In Deutschland herrscht ein Mangel an Impfstoffen. Laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bestehen bei 14 Impfstoffen der unterschiedlichsten Hersteller Lieferengpässe. Betroffen sind Mittel gegen Keuchhusten, Kinderlähmung, Typhus, Tollwut und Grippe. "Es ist ein geballter Mangel", sagt Jan Leidel, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko). Die Situation sei ernst, aber noch keine Katastrophe. Die Stiko erarbeite mit dem PEI alternative Impfempfehlungen, um die Mangelsituation zu entschärfen.

"Wir bemühen uns bei jedem einzelnen Lieferengpass um eine Lösung", betont auch Klaus Cichutek, PEI-Präsident. So können Ärzte mitunter auf ähnliche Impfstoffe anderer Hersteller ausweichen. Oder sie sollten Mehrfachimpfstoffe verwenden, auch wenn sie nur gegen eine Krankheit impfen wollen, was nicht jedem Patienten behagt. "Zudem sind Grundimmunisierungen im Zweifelsfall wichtiger als Auffrischimpfungen", sagt Leidel. So lasse sich der Bedarf hinauszögern.

Wie problematisch die Situation ist, hängt von der individuellen Vorratshaltung der Praxen ab, sagt der Berliner Kinderarzt Martin Terhardt, ein Mitglied der Stiko. Niemand wisse, wie viel Impfstoff noch in den Lagern sei, und manche Praxen hätten bereits gehamstert. "Wir haben keine vernünftige Lenkung des Problems", beklagt Terhardt. "Wir bräuchten eine Stelle, die sich um die Bestände kümmert und eine nationale Reserve vorhält."

Bei vielen Impfstoffen wird der Engpass bis Ende des Jahres vorbei sein. "Hier bestehen kleine temporäre Probleme, die wir gewöhnt sind", sagt Terhardt. Weil Impfstoffe biologisch hergestellt werden - zum Beispiel in Hühnereiern oder in Zellkulturen - geht bei der Produktion häufiger etwas schief als bei der chemischen Synthese etwa von Aspirin.

Im Fall von Keuchhusten befürchtet der Kinderarzt allerdings, dass sich eine ernste Impflücke auftut. Weltweit ist der Bedarf an Vakzinen gegen die für kleine Kinder hochgefährliche Krankheit größer geworden. Das liegt auch daran, dass die Impfung neuen Erkenntnissen zufolge nicht ein Leben lang schützt. Es dauere aber Jahre, bis die Hersteller ihre Produktionskapazitäten an den größeren Bedarf angepasst haben werden, sagt Terhardt. Das könne tragische Folgen haben: "Wenn Säuglinge ungeschützt sind, weil ihre Angehörigen keine Auffrischimpfung erhalten konnten, kann es wirklich gefährlich werden."

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Quelle:
SZ vom 30.10.2015
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