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Coronavirus:Das große Rennen um den Impfstoff

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Wer wird den ersten Corona-Impfstoff entwickeln? Weltweit versuchen mehr als 60 Gruppen, eine wirksame Immunisierung herzustellen. In Deutschland laufen nun Tests eines Stoffs an Menschen an.

Von Hanno Charisius

Erst seit vier Monaten wütet das neue Coronavirus auf der Erde. Und bereits heute werden Impfstoffe gegen den Erreger an Menschen erprobt. Am Mittwoch gab das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bekannt, dass das Mainzer Unternehmen Biontech mit Tests von Impfstoffkandidaten in Deutschland beginnen darf. Noch nie wurde ein potenzieller Impfstoff gegen einen neuen Krankheitserreger so schnell entwickelt. PEI-Präsident Klaus Cichutek rechnete noch vor wenigen Wochen erst im Frühsommer mit ersten Tests auch in Deutschland. Nun gibt sein Institut bekannt, dass "durch eine intensive wissenschaftliche Beratung des Arzneimittelentwicklers" im Vorfeld das Zulassungsverfahren in nur vier Tagen abgeschlossen werden konnte. Das PEI ist in Deutschland für die Zulassung, Bewertung und Chargenfreigabe von Impfstoffen verantwortlich. "Ich freue mich, dass wir die Tests so kurzfristig genehmigen konnten", sagt Cichutek.

Die geplante Studie des Biotech-Unternehmens Biontech besteht aus zwei Teilen. Zunächst sollen vier leicht unterschiedliche Impfstoffvarianten an 200 gesunden Freiwilligen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren getestet werden. In einem zweiten Teil sollen 500 Freiwillige, darunter auch Menschen mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden die experimentellen Impfstoffe bekommen. Zunächst geht es darum, die Sicherheit der Substanzen zu testen. Aber auch die Immunantwort des Körpers werden die Forscherinnen und Forscher sehr genau im Blick haben.

Weltweit arbeiten Dutzende Forschergruppen und Unternehmen an Impfstoffen

Biontech will sogenannte RNA-Impfstoffe einsetzen, das sind kleine Stücke vom Viruserbgut, die in Nanopartikel verpackt in den menschlichen Körper injiziert werden. Menschliche Zellen stellen dann nach den Virus-Bauplänen Proteinstücke her, die das Immunsystem mobilisieren sollen. So erklärt der Vorstandsvorsitzender Ugur Sahin den Ansatz, mit dem es bislang nur wenig Erfahrung gibt.

Während einer Pressekonferenz zusammen mit PEI-Präsident Klaus Cichutek erklärte Sahin am Mittwoch die Vorteile dieser Vorgehensweise. Demnach würde der Körper mit einer starken Immunantwort auf die Erbgutstücke der Viren reagieren. Diese enthalten die genetischen Baupläne eines Proteins, das die Erreger verwenden, um in menschliche Zellen einzudringen. Auch lasse sich das virale Erbgut chemisch herstellen, sodass in sehr kurzer Zeit sehr große Mengen zur Verfügung stehen könnten. Hunderte Millionen Impfdosen in kurzer Zeit herzustellen, sei so laut Sahin möglich. Seine Firma arbeite mit weiteren Unternehmen wie Pfizer daran, die Produktionskapazitäten auszubauen, "um die Möglichkeit zu haben, große Mengen auszuliefern, wenn die Zulassung erfolgen sollte".

Weltweit arbeiten Dutzende Forschergruppen und Unternehmen an Impfstoffen gegen das Coronavirus. Laut WHO laufen aktuell mehr als 60 Impfstoffprojekte. Die Injektion mit viralem Erbgut ist nur ein Ansatz. Jeder hat spezielle Vor- und Nachteile. Manche lassen sich leicht herstellen, andere produzieren eine Immunantwort, die der auf eine natürliche Infektion mit dem Erreger sehr ähnlich ist. Es sei gut, dass so viele Kandidaten im Rennen seien, sagt Cichutek, "wir brauchen mehrere Produkte, und brauchen mehr als einen Hersteller". Die Impfstoffe würden schließlich unterschiedliche Nutzen-Risiko-Profile haben. Kinder könnten andere Vakzine brauchen als Senioren.

Ein Schweizer Immunologe behauptet, er könne noch in diesem Jahr ein Vakzin liefern

Zur Sicherheit würden die Probanden in der Biontech-Studie nach der ersten Injektion über Nacht von Ärzten überwacht werden, sagt Sahin. "Erst wenn die Blutuntersuchung und das Befinden der Probanden akzeptabel sind, werden sie nach Hause entlassen." Zeigen sich keine unerwünschten Effekte, werden die folgenden Probanden zunächst nur einige Stunden nach der ersten Spritze ärztlich überwacht. Wenn diese ersten Tests gut verlaufen, könnten im Herbst größere Studien in Deutschland starten, sagt Cichutek. "Wir werden die organisatorische Flexibilität voll ausnutzen, ohne auf Sicherheit zu verzichten, um einen Impfstoff schnell zuzulassen."

Am Dienstag hatte zudem ein Schweizer Immunologie angekündigt, er werde noch in diesem Jahr einen Impfstoff bereitstellen. Die zuständige Aufsichtsbehörde Swissmedic bezeichnete diesen Zeitplan als "äußerst optimistisch, aber nicht komplett an den Haaren herbeigezogen". Es gebe gerade "ein Rennen um Aufmerksamkeit", sagt Cichutek. Eine Zulassung sei nur zu verantworten, wenn es gute Daten zur Sicherheit gibt.

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SZ vom 23.04.2020
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