Süddeutsche Zeitung

Impfskepsis:Spritze oder Masernmythen

Eine aktuelle Studie widerlegt - mal wieder - die Falschmeldung, dass Impfen bei Kindern Autismus auslöst. Braucht es diese Suche nach der Wahrheit überhaupt noch?

Kommentar von Felix Hütten

Manchmal leiden Journalisten und Wissenschaftler unter dem gleichen Problem: dem Zweifel an der Wahrheit. Zugegeben, Wahrheit ist ein großes Wort, schwer zu fassen, schwer zu erlangen. Und so ist es die mühsame, ja teils auch frustrierende Aufgabe der Wissenschaft, sich dieser Wahrheit Stück für Stück anzunähern; wohlwissend, dass es niemals endgültig gelingen wird. Gleiches gilt oft auch für den Journalismus.

Diese Woche präsentierte ein Team von dänischen Epidemiologen eine groß angelegte Studie zu der Frage, ob die Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln das Autismusrisiko für Kinder erhöht. Die Antwort: Nein! Dieser Zusammenhang wurde bereits in zahlreichen Studien klar widerlegt, und so schließt sich die Frage an, warum es denn überhaupt noch eine Untersuchung zu dem Thema braucht.

Der Fall scheint hoffnungslos

Gut 20 Jahre ist es nun her, als das Fachmagazin The Lancet eine mittlerweile zurückgezogene Studie veröffentlichte, die diesen Zusammenhang hat beweisen wollen. Wie sich herausstellte, war die Arbeit grober Unfug - und doch brannte sich die Meldung in die Erinnerung vieler Eltern ein: Impfen macht Autismus. Spätestens wenn die Nachbarin erzählt, wie der Kinderarzt mit tropfender Spritze ins Behandlungszimmer stürmt und sie dem geliebten Baby in den Oberschenkel stechen will, ergreift manche Mütter oder Väter immer noch die Angst.

Eine Folge der alten Falschmeldung. Der Schaden solcher Unsinnsstudien könnte größer nicht sein. Weltweit ist es bislang nicht gelungen, die Masern auszurotten, obwohl die Impfung einen effektiven Schutz gibt. Aber Gefühle sind mächtiger als Fakten, der Fall scheint hoffnungslos.

Daraus ergeben sich Fragen: Ist es gerechtfertigt, weitere Forschungsmillionen zu investieren, um bekannte Falschmeldungen eine weiteres Mal zu entlarven - wie es nun wieder geschehen ist? Oder passiert damit nicht genau das Gegenteil: Wenn Wissenschaftler Impflegenden untersuchen, befeuern sie nicht sogar den Eindruck, dass an ihnen etwas dran sein muss? Und begehen Medien nicht einen Fehler, wenn sie über diese Forschung auch noch berichten - und damit erst auf den Quatsch aufmerksam machen?

Andererseits: Würde man Verschwörungstheoretikern gänzlich die Informationshoheit überlassen, wie viele Kinder mehr würden unnötigerweise an Masern erkranken und damit - zumindest potenziell - in Lebensgefahr schweben? Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen, sondern nur die Lösung, diesen Konflikt offen anzusprechen. Stets in der Hoffnung, dass Fakten für Eltern am Ende doch mehr zählen als Gerüchte.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2019/fehu
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