Süddeutsche Zeitung

Illegale Organtransplantation:Geld oder Leber

Ließ sich ein Transplantations-Arzt aus Göttingen bestechen und setzte einem liquiden Russen unrechtmäßig eine fremde Leber ein? Während die Staatsanwaltschaft ermittelt, ist der Arzt unauffindbar. Nicht einmal am Uniklinikum ist bekannt, wo er sich aufhält.

Christina Berndt

Der Mann frönte seit Jahren dem Alkohol. Nun war seine Leber kaputt. Auch für einen begüterten Menschen wie ihn könnten sie nichts mehr tun, sagten seine Ärzte daheim in Russland. Aber es gab noch einen Ausweg. Und der hieß Göttingen.

Dort, in der Abteilung für Transplantationschirurgie, pflanzte ein Oberarzt dem Mann eine neue Leber ein. Weil es dabei offenbar nicht mit rechten Dingen zuging, ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig jetzt wegen Bestechlichkeit. Es wurden Wohnungen durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt.

Zunächst schien es noch, als würde dem Patienten am Uniklinikum Göttingen nach Recht und Gesetz geholfen. Denn der Russe brachte nach SZ-Informationen einen Spender mit, der ihm einen Teil seiner Leber abtreten wollte. Solche Operationen nehmen deutsche Transplanteure gegen Privatliquidation gerne vor. Doch zur angeblichen Überraschung der Beteiligten stellte sich heraus, dass die Gewebe des willigen Spenders gar nicht zu dem Kranken passten. Da habe der Oberarzt Protokolle gefälscht, teilten Kenner des Falls mit.

Auf dem Papier erging es dem Patienten plötzlich sehr schlecht; gleich mehrere Organe schienen zu versagen. So konnte sich der Mann unmöglich ins Flugzeug setzen. Stattdessen landete er auf einem der vordersten Plätze der Warteliste. Bald bekam der Russe seine Leber aus dem Eurotransplant-Verbund, in dem Deutschland mit sechs weiteren Ländern zusammengeschlossen ist. Russland gehört nicht dazu.

Bis zu fünf Prozent der Organe dürfen deutsche Kliniken an ausländische Patienten vergeben, sofern diese nicht transportfähig sind. Ansonsten müssen sich die Kranken in ihrer Heimat um eine Transplantation bemühen. "Es ist ja nicht so, dass das Leben eines Menschen mit Wohnsitz im Ausland weniger wert ist", sagt Uwe Heemann vom Münchner Uniklinikum rechts der Isar. "Aber es handelt sich um ein Solidarsystem, das nicht durch persönliche Interessen ausgebeutet werden darf. Die Ressourcen sind nun einmal knapp."

Was nämlich geschah mit dem Patienten, der wegen des Russen auf der Warteliste zurückfiel? Er musste nun länger auf eine Leber warten - zu lang? "Es ist durchaus wahrscheinlich, dass er gestorben ist", sagt ein Organspende-Experte. Wer ganz oben auf der Warteliste für eine Leber steht, ist sterbenskrank.

Der Justiz zufolge ist es noch offen, ob tatsächlich Daten gefälscht wurden und illegal Geld geflossen ist. Dies sei Gegenstand der Ermittlungen, sagte Staatsanwältin Serena Stamer. Der Oberarzt war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Es heißt, er habe das Land verlassen. Nicht einmal am Uniklinikum ist bekannt, wo er sich aufhält. Man habe sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt, sagt eine Sprecherin. Außerdem habe man sich zum Stillschweigen verpflichtet und könne deshalb nichts weiter sagen.

Auch die Kommissionen der Bundesärztekammer (BÄK), die die Transplantationsmedizin überwachen sollen, äußern sich nicht. "Wir arbeiten intensiv an dem Fall", versichert der Vorsitzende Hans Lippert. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die als erste durch einen Mitarbeiter des Klinikums von dem Fall erfuhr, gab ihn übrigens nicht an die Staatsanwaltschaft weiter, sondern an die BÄK-Kommissionen, die nicht über juristische Mittel verfügen. Man habe nicht feststellen können, "ob es sich um eine Straftat oder um einen Richtlinienverstoß gehandelt hat", begründete die DSO dies.

Würden die Kommissionen effektiver kontrollieren, wären Patienten auf der Warteliste vielleicht nicht betrogen worden: Der Oberarzt vermittelte schon vor Jahren seinen Chefs lukrative Operationen im Ausland. Auch da hielt er sich nicht immer an die Regeln: Im Jahr 2006 arbeitete der Arzt an einem bayrischen Universitätsklinikum. Damals nahm er eine Leber nach Jordanien mit. Er hatte Eurotransplant vorgegaukelt, die Empfängerin liege bei ihm auf der Station. Der Fall flog auf. Die Prüfungskommission tagte. Konsequenzen aber hatte das keine für ihn.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2012/rela
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