Süddeutsche Zeitung

Hypertonie:Zu viel Druck im System

Während junge Menschen durch ihr Leben hetzen, steigt allmählich und unbemerkt ihr Blutdruck. Die Quittung dafür erhalten sie in späteren Jahren, wenn Herz und Nieren geschädigt, wenn Schlaganfall oder Herzinfarkt auftreten. Über die unterschätzte Volkskrankheit Bluthochdruck.

Von Berit Uhlmann

Die ältere Dame war rüstig und lebensfroh, bis ihr Arzt einen alarmierend hohen Blutdruck maß. Von da an sollte sie täglich Tabletten schlucken, deren Nebenwirkungen bei ihr das bedrückende Gefühl hinterließen, müde, alt und krank zu sein. Die Versuchung, solche Tabletten vorschnell zu reduzieren oder in der hintersten Schrankecke zu ignorieren, ist groß und für Ärzte ein Dilemma. Denn dies ist die Crux an der Hypertonie: Der Mensch kann jahrelang an ihr leiden, ohne Beschwerden zu spüren. Dass dem Wohlbefinden zum Trotz Medikamente vonnöten sind, widerspricht der Intuition vieler Betroffener.

Nahezu jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat einen Blutdruck, der über dem Grenzwert von 140/90 mmHg liegt. Doch nur die Hälfte von ihnen weiß von diesem Wert. Und von denen, die als Hypertoniker diagnostiziert werden, ist nur jeder zweite medikamentös optimal eingestellt. Welches Risiko diese Menschen eingehen, erläuterten Experten auf einem SZ-Gesundheitsforum in München.

Stehen die Blutgefäße des Körpers permanent unter hohem Druck, drohen vielfältige Schäden bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch wenn diese Ereignisse abrupt auftreten, sind sie doch das Ergebnis einer langen Entwicklung. "Fast immer geht dem Schlaganfall ein jahre- oder jahrzehntelanger Bluthochdruck voraus. Eigentlich müsste man ihn Schleichanfall nennen", sagt der Neurologe Roman Haberl vom Städtischen Klinikum München-Harlaching und verdeutlicht dies am Beispiel des Hirnaneurysmas.

Diese sackartigen Ausstülpungen der Hirngefäße können durch den hohen Druck in den Adern auf solche Größe anwachsen, dass sie platzen und eine lebensgefährliche Blutung verursachen. Das Wachstum beginnt meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, zu einer Zeit, da die meisten Menschen zwischen beruflichen und familiären Verpflichtungen hin- und hereilen, da die Tage zu oft von Stress, und die Nächte nicht selten von Sorgen bestimmt werden. Über alles Mögliche machen sich Menschen in dieser Lebensphase Gedanken, der eigene Blutdruck gehört in der Regel nicht dazu. Das ist nach Einschätzung der Experten ein Fehler: "Jeder Menschen zwischen 30 und 40 Jahren sollte seinen Blutdruck kennen", mahnt der Neurologe Haberl.

Allmählich und kaum merklich kann sich bei Hypertonikern auch eine Arteriosklerose entwickeln: Der kräftige Druck in den Adern trägt dazu bei, dass diese ihre Elastizität verlieren und sich Ablagerungen an ihren Wänden bilden. Über lange Zeit wachsen diese Plaques und können schließlich zum Verschluss von Gefäßen -und damit auch zum Schlaganfall oder Herzinfarkt führen.

Zugleich ist das Herz von Hochdruck-Patienten noch auf andere Weise in Gefahr. Mit jedem Schlag muss es auf den hohen Druck des Blutes reagieren. Der Muskel wird überlastet, verdickt sich und arbeitet langfristig weniger effektiv. "Lange kann das Organ die Schädigungen kompensieren. Wenn sie sich bemerkbar machen, sind sie leider schon weit fortgeschritten und irreversibel", sagt der Münchner Kardiologe Thomas von Arnim.

Viele dieser Entwicklungen sind vermeidbar, denn der Bluthochdruck ist kein unabweisbares Schicksal. Lediglich in ein bis zwei Prozent der Fälle geht die Hypertonie auf Hormonstörungen zurück, erläutert der Internist Otto-Albrecht Müller. Vor allem bei jüngeren Hochdruckpatienten sollte diese Möglichkeit bedacht werden. Auch eine Nierenerkrankung kann Ursache, aber ebenso Folge der Hypertonie sein, ergänzt Michael Fischereder von der LMU München. Deshalb rät er, bei Bluthochdruck die Urinwerte prüfen zu lassen. Wesentlich häufiger sind jedoch eine familiäre Veranlagung und der Lebensstil Ursache des Hochdrucks. Zu wenig Bewegung, ungesunde Ernährung, Übergewicht und Stress begünstigen die Erkrankung.

Die Änderung des Lebensstils ist daher ein Teil der Behandlung. Mit Sport und Entspannung können Patienten ihren Blutdruck senken, erläutert Johannes Mann vom Städtischen Klinikum Schwabing. Hilfreich ist zudem eine mediterrane Ernährung: mehr Fisch als Fleisch, mehr Pflanzenöle als Butter, zudem reichlich Obst und Gemüse und möglichst wenig Salz. Doch selbst wenn diese Umstellung gelingt, kommen die allermeisten Patienten nicht um die Einnahme von Medikamenten umhin.

Kardiologe von Arnim zitiert einen Merksatz, den er schon als Medizinstudent hörte: "Es kommt nicht so sehr auf die Art des Blutdruckmedikaments an, sondern darauf, dass der Patient es nimmt." Das bedeutet in vielen Fällen: "Betroffene brauchen Geduld, bis das passende Medikament in der richtigen Dosierung gefunden ist", sagt Johannes Mann. Ist der Blutdruck erst einmal optimal eingestellt, können viele von ihnen die Medikamente reduzieren. Die gute Nachricht für diese Betroffenen lautet: Sie haben mit ihrem Blutdruck zugleich das Risiko schwerer Erkrankungen gesenkt. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr, in die Daten von mehr als 150 000 Patienten einflossen, ergab: Zeigt das Blutdruck-Messgerät auch nur fünf Einheiten weniger an, ist die Gefahr für schwerwiegende Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall um 17 Prozent reduziert.

  • Professor Dr. Martin Middeke, Hypertonie-Zentrum München
  • Professor Dr. Otto-Albrecht Müller, ehem. Chefarzt der II. Medizinischen Abteilung des Rotkreuz-Krankenhauses
  • Professor Dr. Michael Fischereder, Bereichsleiter Nephrologie, Medizinische Klinik und Poliklinik IV der LMU
  • Professor Dr. Roman Haberl, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin, Städtisches Klinikum München-Harlaching
  • Professor Dr. Thomas von Arnim, ehem. Chefarzt der I. Medizinischen Abteilung des Rotkreuz-Krankenhauses
  • Professor Dr. Johannes Mann, Direktor der Klinik für Nieren-, Hochdruck- und Rheumakrankheiten, Städtisches Klinikum München-Schwabing

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1887729
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.02.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.