Hygiene:Jedes Haus ein Reich voller Kleinstlebewesen

Hausstaubmilbe

Die Hausstaubmilbe ist eine besonders unangenehme Mitbewohnerin. Sie kann Allergien auslösen.

(Foto: Scherax/dpa)

Käfer laben sich an abgeschnittenen Fingernägeln, Läuse an Topfpflanzen: Spinnen, Insekten und Mikroben passen sich dem Haushalt an. Manche lassen sich kaum mehr bekämpfen.

Von Hubertus Breuer

Michelle Trautwein erforscht einen der letzten weißen Flecken auf der Landkarte des Lebens - die Artenvielfalt in unseren vier Wänden. In den letzten Jahren hat die Insektenforscherin im US-Bundesstaat North Carolina mit ihrem Team fünfzig Eigenheime unter die Lupe genommen. Bewaffnet mit Stirn- und Taschenlampen, Knieschonern, Pinzetten, Netzen, Glasfläschchen und Absauggeräten wagten sie sich in dunkelfeuchte Kellerecken vor, robbten unter dem Dachfirst über den Boden trockenstaubiger Speicher und wuchteten Kühlschränke und Spülmaschinen zur Seite, um Insekten und andere Gliederfüßer einzusammeln.

Die Ausbeute der Expedition war weit größer als erwartet: Teppichkäfer, Zitterspinnen, Höhlenschrecken, Raubwanzen, südasiatische Kirschessigfliegen - insgesamt sammelten sie mehr als 10 000 Exemplare, etwa 750 Arten ein. Viele Tiere waren von Licht oder Gerüchen angelockt durch Türen und Fenster ins Innere der Häuser geflogen und hatten dann den Weg in die Freiheit nicht mehr gefunden.

Etliche Spezies waren aber dauerhafte Untermieter. Etwa der Wollkrautblütenkäfer, der sich an Hautresten, Fingernägeln und Essensresten labt, ebenso wie Trauermücken rings um Topfpflanzen oder Staubläuse. Die tierische Besatzung war aber nicht in jedem Heim gleich: Einige verfügten über jede Menge Tausendfüßler, andere beherbergten große Silberfischkolonien. "Häuser mögen nicht wie Orte erscheinen, in denen Biologen Entdeckungen machen", sagt Trautwein. "Aber auch in Innenräumen finden sich Ökosysteme."

Dieser Naturraum ist evolutionsgeschichtlich jung, schließlich bauen Menschen erst seit etwa 20 000 Jahren Häuser. Aber er wächst - und auch in ummauerten und überdachten Räumen geht die Evolution weiter. Derzeit liegt das Ausmaß der Gebäudeflächen bei geschätzt 0,5 Prozent des weltweit eisfreien Landes. Das entspricht einer Fläche von etwa 640 000 Quadratkilometern. Soviel Platz nehmen ungefähr auch die tropischen Nadelwälder ein. Und die Ökosysteme im Inneren von Gebäuden wachsen weiter. In Manhattan etwa ist die Innenraumfläche heute fast dreimal so groß wie die Insel selbst.

Ein besonderes Biotop sind Duschköpfe und Abflüsse. Vor allem Pilze fühlen sich hier wohl

Was die Wissenschaft bislang über unsere Mitbewohner weiß, fassen 25 Forscher in einem Überblicksartikel in der April-Ausgabe des Fachjournals Trends in Ecology and Evolution zusammen. Eine der Autorinnen, die Biologin Laura Martin von der Cornell University im US-Bundesstaat New York, sagt: "Bislang hat sich die Forschung in Häusern auf Schädlinge konzentriert. Aber es ist notwendig, die kompletten Lebensgemeinschaften zu betrachten." Dazu gehören auch die Mikroorganismen. In vierzig Häusern, ebenfalls in North Carolina, entdeckten Wissenschaftler mehr als 8000 Mikrobenarten. Ein anderes Forscherteam fand Hunderte Pilzarten bei einer Untersuchung von nur elf Häusern in Kalifornien. Ein bevorzugtes Biotop der Pilze sind Duschköpfe und Abflüsse. In jedem Heim gibt es eine Art Dschungel mit unzähligen Spezies - ein unerwarteter Hotspot der Biodiversität.

Die Forscher richten ihr Augenmerk aber nicht nur auf den Bestand, sondern auch auf die Evolution dieses Ökosystems. Wo isolierte Populationen um beschränkte Nahrungsressourcen konkurrieren und ihnen feindselige Reinigungsmittel, Staubsauger und Schuhsohlen nach dem Leben trachten, überleben nur die am besten Angepassten.

Bettwanzen und Silberfische sind besonders gut angepasst

Gewinner in diesem Wettbewerb sind Bettwanzen und Silberfische mit ihren flachen Körpern, die durch Ritzen, Fugen und Spalten passen. Da es dort meist stockdunkel ist, nutzen sie statt Augen lange Fühler zur Orientierung. Oft sind sie flügellos, da es auf engem Raum keiner großen Flugkünste bedarf. Das gilt auch für den Kornkäfer, der vor allem in Getreidespeichern oder Speisekammern lebt. Kleidermotten sind ebenfalls keine großen Flugakrobaten - zwischen Pullovern, Hemden und Röcken ist das auch nicht notwendig. Die Autoren des Artikels vermuten außerdem, dass diese Tiere Inzucht gut vertragen, weil sie in manchem Heim wie auf einer einsamen Insel hausen.

Einige Mitbewohner begleiten den Menschen bereits seit Urzeiten. Als der Frühmensch noch in Höhlen wohnte, stiegen wahrscheinlich einige Wanzen von Fledermäusen auf den Menschen um. Seither ist der Blutsauger uns nicht mehr von der Seite gewichen. Die Deutsche Schabe könnte in freier Natur kaum noch überleben und ist für ihr Gedeihen auf die Unterkunft in menschlichen Behausungen angewiesen. Nicht viel anders ist es bei den lichtscheuen Silber- und Ofenfischchen oder den Hausstaubmilben.

Die Evolution unserer Hausgenossen ist längst nicht abgeschlossen. So meiden Deutsche Schaben in den USA inzwischen Zucker - und das heißt auch, mit Zucker versetzte Köder. Insektenforscher stellten fest, dass die Tiere sich dabei nicht nur schlauer verhalten, sondern dass sich offenbar ihre Geschmackswahrnehmung geändert hat. Auch Bettwanzen entwickeln sich weiter. In den Sechzigerjahren galt das lästige Kleingetier in den Industrienationen als weitgehend ausgemerzt, weil es mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel DDT bekämpft wurde. Seit Mitte der Neunzigerjahre trotzen die Plagegeister aber immer öfter handelsüblichen Insektiziden. Ihre Resistenz führen Forscher auf die Fähigkeit zurück, Gifte schneller als früher abzubauen.

Wenn eine neue Familie in ein Haus einzieht, leben dort bald auch andere Mikroorganismen

Die größte Artenvielfalt unter unserem Dach findet sich freilich bei den Millionen Bakterien, Viren und anderen Mikroben. Mikrobiologen um Jack Gilbert vom Argonne National Laboratory im Bundesstaat Illinois haben in ihrem "Home Microbiome Project" drei Wochen lang sieben Familien begleitet, zu denen achtzehn Personen gehörten, drei Hunde und eine Katze. Täglich nahmen sie Wischproben von Händen, Füßen und Nasen, außerdem von diversen Oberflächen im Haus. Dabei entdeckten die Wissenschaftler annähernd 22 000 Arten, wie sie vor einigen Monaten im Fachjournal Science  berichteten.

Drei Familien zogen zudem während der drei Wochen um - und das Forscherteam beobachtete, dass die Mikrobenflora der Neuankömmlinge ein Haus in kürzester Zeit kolonisierte. Jeder Mensch hat also einen mikrobiellen Fingerabdruck.

Komplett ausgetauscht wird das Mikrobiom in einem Haus jedoch nicht, wenn eine neue Familie einzieht. Spezialisierte Mikroben findet man besonders häufig an Orten mit extremen mikroklimatischen Schwankungen - in Duschköpfen etwa, mit ihrem Wechsel zwischen heißem und kaltem Wasser und plötzlicher Trockenheit. Hier lebt auch ein Mykobakterium, das bei Menschen mit schwachem Immunsystem möglicherweise Lungenerkrankungen auslösen kann. In Wasserboilern findet man oft ein Bakterium namens Thermus aquaticus, von dem einige Forscher vermuten, seine Vorfahren könnten aus Heißwasserquellen stammen.

Der Biologe Rob Dunn von der North Carolina State University, der ebenfalls zu den Autoren des Artikels in Trends in Ecology and Evolution gehört, hofft, dass die Entdeckung der Artenvielfalt in unseren Häusern nicht nur wissenschaftliche Neugier befriedigt. Sie könnte auch unser Leben verbessern. So fänden sich in Häusern mit vielen Schaben, Mäusen oder Pilzsporen vermehrt Substanzen, die Allergien wie Asthma auslösen. Mikroben, die mit Zimmerpflanzen in das Haus kommen, sind dagegen wahrscheinlich förderlich für die Gesundheit. Es ist also wichtig herauszufinden, welche Arten ein positives Umfeld schaffen. Entkommen können wir unseren Mitbewohnern allerdings nicht: "Die Evolution, die dort stattfindet," sagt Dunn, "ist mit unserem Schicksal verwoben."

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