Deutschland hat in der Medizin einen seltsamen Ruf. Jedes Jahr kommen Zehntausende Patienten aus aller Welt, weil sie sich vom hoch entwickelten Gesundheitssystem hierzulande ebenso verlässliche wie effektive Behandlungen erhoffen. Und viele fahren in der Tat gut behandelt wieder nach Hause.
Aber es gibt auch eine andere, eine dunkle Seite: Patienten aus aller Welt reisen nach Deutschland, weil sie hier jede Menge kruder Therapien erhalten. Diese Behandlungen sind nicht ohne Grund in anderen Teilen der Welt oft schon seit Jahren verboten. Sie bekommen Patienten nicht gut, so wie der Gruppe von älteren Amerikanern, die im Mai 2014 aus dem Staat New York zu einer vermeintlichen Verjüngungskur mit "Frischzellen" nach Good Old Germany aufbrach: Fünf von ihnen wurden danach schwer krank. Die US-Seuchenschutzbehörde warnte in der Folge vor den seltsamen Umtrieben deutscher Medizin. Immer wieder werden Patienten in Deutschland Opfer selbsternannter "Heilmeister", die ihre Dienste im Ausland nicht hätten anbieten dürfen.
Deutschland ist zur Schutzzone für Scharlatane geworden
Dafür müssten sich deutsche Gesundheitspolitiker eigentlich schämen. Bei Gesundheitsbehörden im Ausland gilt die Bundesrepublik schon lange als Schutzzone für Scharlatane und Quacksalber, vor deren gefährlichem Treiben sie ihre Landsleute schützen müssen. Patienten im Inland hat dagegen bisher niemand geschützt. Deshalb kann man den Vorstoß zu den Gesetzesänderungen, wie sie jetzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg bringt, nur begrüßen. Die hochbedenkliche Behandlung mit Frischzellen zu beenden ist ebenso wichtig wie die Einschränkung für Heilpraktiker, künftig verschreibungspflichtige Arzneimittel für ihre Patienten nicht mehr selbst herstellen zu dürfen. Beides ist überfällig - und zwar schon seit Jahrzehnten, so schlimm diese Wahrheit auch mit Blick auf das Leid ist, das Patienten wegen der Untätigkeit von Spahns Vorgängern erfahren haben.
Die jetzt angepeilte Gesetzesänderung darf aber nicht der letzte Schritt sein: Auch Ärzte müssen besser kontrolliert werden. Gewissenlosigkeit, Geldgier und Irrglaube existieren schließlich nicht nur unter Heilpraktikern, sondern auch unter approbierten Medizinern, von denen manche mit ominösen, vermeintlich "biologischen" Krebstherapien werben. Wer Patienten umfassend schützen will, darf die von Interessenvertretern mit Zähnen und Klauen verteidigte Therapiefreiheit für Ärzte nicht unangetastet lassen.
Sterbenskranke Menschen sind oft zu allem bereit, um dem Tod doch noch ein wenig Leben abzuringen. Sie zahlen bereitwillig Tausende Euro für Therapien, deren Wirkung im besten Fall unbewiesen ist, im schlechtesten gefährlich oder sogar tödlich. Hinzu kommt, dass Menschen oft der Schulmedizin misstrauen. Selbst der ebenso technikaffine wie intelligente Apple-Gründer Steve Jobs ließ sich nach seiner Krebsdiagnose monatelang ausschließlich "alternativ" behandeln, bevor er doch in eine Operation einwilligte. Er habe quasi Suizid begangen, sagten Fachleute nach seinem Tod. Dass Schwerkranke jede Chance nutzen wollen, ist allzu verständlich. Umso mehr muss es die Aufgabe des Staates sein, verzweifelte Menschen vor zweifelhaften Angeboten zu schützen.