Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Cool bleiben in der Hitze

Im entspannten Ruhemodus vor sich hin dösen statt sich mit kalten Duschen quälen: Um große Hitze gut zu überstehen, müsste man auch sein Verhalten darauf einstellen.

Von Werner Bartens

Der moderne Mensch, zumal in westlich-verwöhnter Ausprägung, verlernt zunehmend die Toleranz. Das ist nicht nur weltanschaulich gemeint, sondern auch körperlich. Hält sich das Außenthermometer nicht mehr an die Spanne zwischen fünf und 25 Grad, droht er aus der Komfortzone zu fallen. Der gemäßigte Mensch aus gemäßigten Breiten verbringt seinen Alltag nun mal in voll klimatisierten Büroräumen, die er in Fahrzeugen mit Air Condition ansteuert. Was für eine Zumutung, wenn es im Sommer dann tatsächlich heißer oder im Winter kalt wird!

Der Malteser Hilfsdienst warnte denn schon Mitte der Woche: "Morgen sterben voraussichtlich mehr Menschen als sonst." Sonnenstich, Hitzschlag, Erschöpfung und Kreislaufversagen drohen. Notfallexperten geben die originellen Hinweise, bei großer Hitze viel zu trinken und sportliche Höchstleistungen oder andere körperliche Belastungen in der Mittagssonne zu unterlassen und in den frühen Morgen, späten Abend oder ganz zu verlegen. Ach ja, und bitte morgens oder spätabends stoßlüften - tagsüber die Fenster schließen und die Hitze aussperren.

Rainer Löb, der beim Malteser Hilfsdienst den schönen Titel "Bundesarzt" trägt, erinnert daran, nie, "auch nicht für kurze Zeit", jemanden im Auto zurückzulassen, das in der Sonne steht. "Das gilt besonders für Babys, Kleinkinder und ältere Menschen - aber auch für Hund oder Katze." Säuglinge und Kleinkinder sind besonders gefährdet, weil sie die Körpertemperatur mit ihrer vergleichsweise geringen Körperoberfläche durch Schwitzen nur eingeschränkt regeln können. Bei älteren Menschen ist oft das Durstgefühl gestört und die Wärmeregulierung funktioniert nicht mehr wie in jungen Jahren.

Der Körper mag es zwar eigentlich wohlig-warm, und bei 30 oder 32 Grad schnurren Stoffwechsel und Organfunktionen wunderbar vor sich hin - aber das funktioniert nur optimal, wenn man leicht bekleidet im entspannten Ruhemodus vor sich hindöst und nicht in Konferenzen oder der Bürohitze in Wallung gerät. Mit entsprechender Kondition, ausreichend mineralstoffreicher Flüssigkeit und etwas Gewöhnung übersteht der Mensch zwar Ultramarathons in der Wüste bei mehr als 40 Grad ohne Schaden. Untrainiert, dehydriert und nur an seine Wohlfühltemperatur angepasst, können einen jedoch die fürs Wochenende prognostizierten 30 bis 36 Grad aus der Bahn werfen.

Ob der Rat mancher Notfall-Experten im Alltag umgesetzt wird, mag dennoch bezweifelt werden. So empfehlen die Malteser, auf Alkohol und süße Getränke zu verzichten. Ein kühles Bier oder eisige Limo regen - ebenso wie die kalte Dusche - Kreislauf und Blutdruck zu sehr an, was zusätzlich Energie verbraucht und damit Hitzeproduktion und Schweißausstoß steigert. Stattdessen gilt es, "möglichst körperwarme Getränke" zu sich zu nehmen sowie "lauwarme Hühner- oder Rinderbrühe". Es nennt sich Zivilisation, aber so sähe der Preis der akklimatisierten Rundumversorgung aus: Der aufgeheizte Büromensch kippt sich nach Feierabend keinen kühlen Drink mehr in den Hals, sondern löffelt in wärmeregulierender Funktionskleidung eine laue Suppe vor dem Ventilator.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2018
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