Heuschnupfen:Wenn das Immunsystem aus dem Tritt gerät

Pusteblume im Abendlicht

Nicht für jeden bringt die warme Jahreszeit pure Freude.

(Foto: dpa)

Manche bekommen noch im Alter von 50 Jahren urplötzlich eine Pollenallergie. Heuschnupfen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten fast epidemieartig verbreitet. Doch warum provozieren harmlose Pollen das Immunsystem so vieler Menschen?

Von Katrin Neubauer

Frühlingszeit ist für Pollenallergiker Frustzeit. Tränende Augen, laufende Nase und Niesattacken verderben ihnen die Freude an der wärmer werdenden Frischluft. Denn die bringt die gefürchteten Pollen mit.

Hasel- und Erlenpollen fliegen bei mildem Wetter bereits im Januar oder Februar. Im März machen Birken-, später Eiche-, Esche-, Buchen- und Fliederpollen Allergikern das Leben schwer. Die Gräser- und Getreideblüte feuert im Sommer den Heuschnupfen an und im Herbst sind es blühende Kräuter und Unkräuter. Für etwa 90 Prozent aller Allergien sind laut AOK Pollen von Haselnuss, Erle, Birke, Roggen und der Spätblüher Beifuß verantwortlich. Wer auf mehrere Pollenarten allergisch reagiert, kann im ungünstigsten Fall mehr als die Hälfte des Jahres mit Heuschnupfen zubringen.

Die Krankheit hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) leiden inzwischen etwa 15 Prozent der Erwachsenen und zehn Prozent der Kinder in Deutschland an Heuschnupfen. Er ist damit die am häufigsten auftretende Allergie. Weitere 8,6 Prozent der Bevölkerung haben ebenfalls durch Pollen verursachtes Asthma bronchiale. Wie aber kommt es dazu, dass sich so viele Menschen in der Blühsaison mit Allergiebeschwerden herumschlagen müssen?

"Eine entscheidende Rolle spielt die genetische Vorbelastung", sagt Ludger Klimek, Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden. Leidet bereits ein Elternteil oder Geschwisterkind an einer Allergie, ist die Wahrscheinlichkeit um 25 bis 30 Prozent höher, dass das Kind ebenfalls erkrankt. Haben beide Eltern Heuschnupfen, liegt das Erkrankungsrisiko sogar bei mehr als 60 Prozent.

Ursache ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems. "Das Immunsystem interpretiert bestimmte Eiweiße, die in Pollen enthalten sind, als schädliche Erreger", erläutert der Allergologe. Gegen diese vermeintliche Bedrohung bildet es Antikörper, sogenannte Immunglobuline E (IgE). Diese docken an Mastzellen an, die für Wundheilung und Immunabwehr verantwortlich sind. Beim nächsten Kontakt mit den Pollen regen die IgE die Mastzellen dazu an, Entzündungsstoffe wie Histamin freizusetzen. Dieses ist verantwortlich für die typischen Beschwerden bei Heuschnupfen. Es reizt die Schleimhäute in Nase, Rachen und Augen, um die Pollen-Eiweiße, die es fälschlicherweise für Feinde hält, hinauszuspülen.

"Meist entwickeln sich Allergien über mehrere Jahre hinweg", sagt Klimek. Oft manifestiert sich die Erkrankung zwischen dem siebten und 14. Lebensjahr, was der Allergologe so erklärt: "In frühen Jahren spielen sich Immunreaktionen vor allem im Darm ab. Später erst werden die Abwehrreaktionen der Atemwege, also von Nase, Rachen und Bronchien, scharf geschaltet."

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Luftverschmutzung, Klimawandel, wenig Natur

Längst aber ist die Krankheit nicht mehr allein mit genetischer Veranlagung zu erklären. "Wir haben Patienten, die noch im Alter von 50 von einem Jahr auf das andere plötzlich Heuschnupfen entwickeln - ohne jegliche Vorbelastung", berichtet Klimek. Auch Kinder, deren Eltern keine Allergien haben, seien zunehmend betroffen. Diesen Trend beobachten Wissenschaftler in Europa seit den 1970er Jahren. Auch in Asien registrieren Forscher die Entwicklung seit gut einem Jahrzehnt. "Einiges deutet darauf hin, dass die Anpassung an den westlichen Lebensstil - weg von Dörfern und Haustieren hin in luftverschmutzte Städte - Allergien begünstigt", sagt Klimek.

So zeigen epidemiologische Studien der Münchner Wissenschaftlerin Erika von Mutius, dass Kinder, die im ländlichen Raum mit Tieren aufwuchsen, weniger anfällig für allergisches Asthma bronchiale sind als Stadtkinder. Die Kinderärztin erklärt das mit einem besser trainierten Immunsystem der Bauernhofkinder, das einer größeren Vielfalt von Erregern ausgesetzt ist.

Eine weitere Hypothese macht die Schadstoffbelastung der Luft für die Zunahme von Allergien verantwortlich. Pflanzen in der Stadt bildeten mehr und aggressivere Pollen aus, um unter den widrigen Umweltbedingungen ihre Fortpflanzung zu sichern, so die Annahme.

Auch die globale Erwärmung steht im Verdacht, Allergien zu begünstigen. Die Blühsaison habe sich seit Jahren immer mehr nach vorn verschoben und der Pollenflug sei intensiver geworden, sagen Meteorologen. Zusätzlich sorgten neu eingeschleppte allergene Pflanzen wie die Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) aus Nordamerika für mehr Heuschnupfen-Opfer.

Ob es tatsächlich immer mehr werden oder die Krankheit inzwischen auf hohem Niveau stagniert, ist noch unklar. Unumstritten ist jedenfalls, dass das Asthma bronchiale weiter um sich greift. Bei vielen, die an den quälenden Asthma-Anfällen leiden, hatte alles nur mit Heuschnupfen angefangen.

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