Heuschnupfen:Mehr Jucken, mehr Niesen

Birke im Münchner Ostpark, 2011

Es werden immer mehr Birken gepflanzt, obwohl sie für Allergiker ungünstig sind.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Gerade quälen Birkenpollen die Allergiker. Und wer das Gefühl hat, dass es damit in den vergangenen Jahren schlimmer geworden ist, täuscht sich keineswegs: Die Pollen in Deutschland werden aggressiver.

Von Christina Berndt

Exakt 772 betrug der höchste Messwert am Freitag in Berlin. Eine reichlich unangenehme Zahl von Birkenpollen wehte damit durch jeden Kubikmeter Luft in der Hauptstadt. In anderen deutschen Städten sah es nicht viel besser aus. Alarmstufe Frühlingsgrün: Von einer starken Belastung durch Pollen sprechen Experten schon bei Tagesdurchschnittswerten von mehr als 100, und die Birke quält Allergiker auch schon bei 50 Pollen pro Kubikmeter Luft. Die Werte werden derzeit leicht erreicht.

Die langen Pollen der Birken haben ihre puschelige Phase erreicht, in der sie vom Wind leicht in alle Richtungen zerstäubt werden. Um das zu merken, brauchen 18 Prozent der Deutschen allerdings keinen Pollenmonitor, wie ihn verschiedene Wetterdienste und der Deutsche Pollenflugdienst an der Charité in Betrieb haben. Nasen und Augen besorgen das von ganz allein.

"Baumpollen-Allergiker leiden derzeit besonders", sagt Jörg Kleine-Tebbe vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie, der im Allergie- und Asthma-Zentrum Westend in Berlin praktiziert. "Üblicherweise beginnt der Birkenpollenflug schon Mitte April. Weil es da aber recht kühl war, kommt er jetzt etwas verzögert - und dafür umso stärker." Die Folge: Viele Allergiker leiden mehr als in anderen Jahren. Die juckenden Augen und triefenden Nasen nerven. Selbst der Kaffee in der Mittagssonne steht leidensbedingt zur Disposition.

Birken bilden die Allergie-auslösenden Stoffe, wenn sie gestresst sind

Doch nicht nur der plötzliche Wärmeschub in der Natur macht Menschen mit Heuschnupfen den Beginn der Pollensaison besonders schwer. Die Pollen werden offenbar auch aggressiver. Denn die Luftverschmutzung lässt den Gehalt an Allergie-auslösenden Stoffen in den Pollen wachsen. "Bet v 1" heißt das Molekül aus Birkenpollen, das die Blüte der Bäume für viele Menschen so unerträglich macht: Ihre Immunzellen reagieren auf dieses Molekül, als wäre es ein übler Feind, gleich hinter Grippeviren und Ebola. Die laufende Nase und juckende Augen sind nur die Kollateralschäden dieses Kampfes.

Doch Birken bilden Bet v 1 vor allem dann, wenn sie gestresst sind. Wohl deshalb macht Luftverschmutzung die Pollen aggressiver: Die Pflanzen reagieren gestresst auf den Dreck in der Luft und bilden mehr Bet-v-1. "Staubpartikel scheinen die Freisetzung von Allergenen in den Pollen zu erhöhen", sagt Claudia Traidl-Hoffmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Umweltmedizin an der TU München und eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet. Auch deshalb ist der Gehalt an Allergenen in Städten zuletzt stark angewachsen.

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Warum werden immer mehr Birken gepflanzt?

Weil die Natur oft auf Bewährtes setzt, kommt Bet v 1 in vielen Bäumen vor. Patienten sind deshalb oft gegen mehrere Baumpollenarten allergisch. Die Folge: Ihr Leid verlängert sich. Wenn die Birkenpollenzeit nach wenigen Wochen vorbei ist, folgen andere Blühperioden.

Noch unangenehmer ist allerdings, dass Bet v 1 auch in einer beachtlichen Menge von Lebensmitteln enthalten ist. Äpfel, Haselnüsse, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Kiwis und zahlreiche andere Obstsorten enthalten Bet-v-1. Ärzte beobachten, dass immer mehr Heuschnupfen-Patienten diese Lebensmittel nicht mehr essen können, ohne dass ihnen der Gaumen juckt oder der Rachen kratzt. "Zwei Drittel der Birkenpollenallergiker sind inzwischen auch von Nahrungsmittelallergien betroffen", sagt Jörg Kleine-Tebbe. "Wir sprechen von einer Kreuzallergie."

Ärzte ärgern sich seit Langem darüber, dass Stadtplaner ausgerechnet die Birke mit ihrem weißen Stamm und ihren zarten Trieben als einen Baum entdeckt haben, der Deutschlands Städte verschönern soll. "Im Vergleich der Jahre 2013 und 2014 hat die Zahl der Birkenpollen in Deutschland um mehr als 19 Prozent zugenommen", beklagt Karl-Christian Bergmann vom Allergie-Centrum der Charité.

Ihn ärgert, dass die Birke in öffentlichen Bereichen "trotz gegenteiliger Empfehlungen unvermindert angepflanzt wird". Auffällig ist, dass in den vergangenen Jahren verstärkt auch ältere Menschen, die ihr Leben lang nichts mit überschießenden Immunreaktionen zu tun hatten, zu Allergikern werden. "Es kommen noch die 40-, 50- und sogar 60-Jährigen in die Praxis", erzählt Kleine-Tebbe. "Auch ich selbst bin noch mit 50 Jahren zum Birkenpollen-Sensibilisierten geworden."

Sensibilisierung bedeutet, dass der Körper auf die Birkenpollen reagiert und Antikörper dagegen bildet. Die Immunreaktion ist aber nicht immer so stark, dass der Mensch auch unter Krankheitssymptomen leidet. "Eine Sensibilisierung gegen Atemwegsallergene findet man bei 50 Prozent der deutschen Bevölkerung", sagt der Arzt. "Krank wird wahrscheinlich nur die Hälfte. Vielleicht habe ich persönlich auch Glück und gehöre zu denen, die verschont bleiben."

Wenn ältere Menschen plötzlich allergisch reagieren

Weshalb ältere Menschen plötzlich auf natürliche Substanzen reagieren, die ihrem Körper bis dahin gleichgültig waren, ist unklar. Als Grund kommt die größere Aggressivität der Pollen infrage. "Aber womöglich spielen auch epigenetische Faktoren eine Rolle", meint Kleine-Tebbe.

Der moderne Forschungszweig der Epigenetik hat erstaunliche Zusammenhänge von Genen und Umwelt aufgetan. So werden Gene im Lauf des Lebens durch die Umwelt verändert. Dass solche Prozesse bei der Entwicklung von Asthma eine Rolle spielen, haben Forschungen bereits belegt. Und Asthma entsteht häufig als eine verschärfte Form der Allergie. Auch hier spielt das Immunsystem verrückt.

Nur eine langwierige Therapie verspricht etwas Linderung - aber die muss man durchhalten

Wer nur sensibilisiert ist, kann sich freuen. Sobald aber Krankheitssymptome auftreten, empfehlen Mediziner den Arztbesuch. "Man sollte sich hyposensibilisieren lassen, wenn die Beschwerden zunehmen oder wenn sich durch Husten oder erschwertes Atmen ein Asthma ankündigt", sagt Kleine-Tebbe. Dabei wird das Immunsystem drei Jahre lang an die Substanzen gewöhnt, die es so unnötig attackiert. Die Hoffnung ist, dass es angesichts der Dauerpräsenz dieser Stoffe deren Ungefährlichkeit erkennt und seinen Kampf einstellt.

Die drei Jahre können lästig lang sein. Doch in den gerade aktualisierten Leitlinien zur Immuntherapie mit Allergenen gibt es eine Neuerung, die vielen Patienten entgegenkommt: Die Therapie muss nicht mehr gespritzt werden. "Tabletten, die man sich unter die Zunge legt, sind oft genauso gut geeignet", sagt Kleine-Tebbe. Der Arzt hofft, dass nun mehr Patienten die lange Hyposensibilisierung durchhalten. Bisher hat mehr als die Hälfte die Behandlung abgebrochen. "Es ist ein echtes Problem, dass die Menschen die Therapie nicht durchhalten", sagt Kleine-Tebbe. Denn diese sei wichtig, um neuen Sensibilisierungen und der Entwicklung eines Asthmas vorzubeugen.

Der Arzt empfiehlt seinen Kollegen, offener mit den Patienten zu sprechen, ihnen nicht zu viel zu versprechen: "Sonst stellt sich vielleicht Enttäuschung ein." Im Durchschnitt werden die Symptome und der Medikamentenverbrauch durch die Hyposensibilisierung auf die Hälfte reduziert. Im Einzelfall kann es eine Reduktion um 70 Prozent sein, mitunter aber tritt auch kaum Besserung ein.

Eine kleine Hoffnung gibt es für Allergiker indes in diesem Jahr noch: Auch wenn der Flug der Birkenpollen jetzt besonders heftig ist, könnte die Pollensaison diesmal schwächer werden als im vergangenen Jahr, sagt Karl-Christian Bergmann. 2014 sei ein besonders schweres "Mastjahr" gewesen, im Jahr darauf nehme die Konzentration der Pollen üblicherweise ab. Je nach Region könnten die Betroffenen Ende Mai aufatmen.

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