Das Herz der Frauen ist schwer zu durchschauen. Das gilt für Laien wie für Ärzte, denn noch immer hält sich hartnäckig die Ansicht, dass Frauen nur selten einem Infarkt erliegen und der Herzschlag eine typische Männerkrankheit ist. Dabei können auch junge Frauen einen Myokardinfarkt erleiden. Weil sie aber die Beschwerden nicht erkennen und spät medizinische Hilfe suchen, sterben im Verhältnis sogar mehr junge Frauen an einem Infarkt als Männer im ähnlichen Alter, wie Ärzte im Fachmagazin Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes (online) berichten.
Die Mediziner um Judith Lichtman von der Universität Yale hatten Frauen im Alter zwischen 30 und 55 Jahren befragt, die wegen eines Infarkts ins Krankenhaus mussten. Dabei zeigte sich, dass die Frauen sehr unterschiedliche Beschwerden hatten und eine nicht-kardiale Ursache für ihre Symptome annahmen. Bei einigen standen Luftnot, Druck im Brustkorb oder Oberbauch im Vordergrund, andere klagten hauptsächlich über unspezifische Symptome wie Erschöpfung, Angst, Übelkeit oder Rückenschmerzen.
Den meisten Frauen kam es gar nicht in den Sinn, dass ihre Beschwerden mit dem Herzen zu tun haben könnten. Einer Patientin hatte ihr Arzt gesagt, dass "die Oberbauchbeschwerden typisch für Sodbrennen und Reflux" seien, eine andere hatte in der Serie "Emergency Room" gelernt, dass beim Infarkt Schmerzen in den linken Arm ausstrahlen. Als sie selbst einen Infarkt bekam, sagte sie sich, "das ist ja wohl kein Herzanfall, denn so war es nicht in der Folge von Emergency Room".
Frühere Studien haben gezeigt, dass es bei Frauen länger als bei Männern dauert, bis sie nach einem Infarkt ärztliche Hilfe bekommen. Das liegt einerseits daran, dass ihre Symptome vielfältiger und schwerer zuzuordnen sind. Deshalb verkennen auch Ärzte oft den wahren Grund der Beschwerden. Die Frauen in der Studie berichteten davon, dass sie Routinetermine Tage später angeboten bekamen oder ihre Symptome als Erschöpfung, Bluthochdruck oder Magen-Darm-Probleme fehlgedeutet wurden.
Die Frauen machen sich Sorgen, falschen Alarm auszulösen und als Hypochonder dazustehen
Die Frauen tragen jedoch auch dazu bei, dass sie manchmal erst ins Krankenhaus kommen, wenn es zu spät ist. Sie machen sich mehr Sorgen, falschen Alarm auszulösen und als Hypochonder zu gelten. "Ich mache den Haushalt, ich habe einen Job, ich muss früh raus und arbeite sogar, wenn ich Fieber habe", war eine typische Aussage der Frauen. "Wahrscheinlich ist es einfach zu viel für mich gewesen in letzter Zeit." Manche Frauen waren regelrecht erleichtert, als sich im Krankenhaus der Verdacht auf einen Infarkt bestätigte und sie merkten, dass sie nicht unnötigerweise die Klinik in Anspruch genommen hatten.
"Junge Frauen mit Risikofaktoren oder familiärer Belastung sollten nicht denken, dass sie zu jung für einen Infarkt sind", sagt Lichtman. "Wir müssen Frauen befähigen, ihre Beschwerden besser zu erkennen und sofort Hilfe zu suchen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben." Dazu ist noch eine Menge Aufklärung nötig, denn obwohl allein in den USA jedes Jahr 15 000 Frauen, die jünger als 55 Jahre sind, an einem Infarkt sterben, ist das Bewusstsein für die Bedrohung kaum vorhanden.
Erst 1991 wurde die Öffentlichkeit wachgerüttelt. Bernadine Healy, erste weibliche Direktorin der US-Gesundheitsinstitute NIH, beklagte im New England Journal of Medicine, wie schwierig es sei, Laien wie Mediziner davon zu überzeugen, dass die Koronare Herzerkrankung "auch eine Krankheit der Frauen sei, und nicht ein verkleidetes Männerleiden". Sie diagnostizierte ein "Yentl-Syndrom" in der Medizin, wonach Frauen erst beweisen müssten, dass sie Männern gleichwertig seien, bevor sie die gleiche Behandlung bekämen. Eine Folge von Healys Weckruf bestand darin, dass Forschungsanträge der weltweit größten Förderorganisation NIH fortan immer beide Geschlechter einbeziehen mussten. Zuvor waren die Teilnehmer von medizinischen Studien fast ausnahmslos Männer.
"Die Gesamtzahl der Todesfälle an Koronarer Herzerkrankung ist bei Frauen insgesamt höher als bei Männern", sagt der Epidemiologe Karl-Heinz Ladwig vom Helmholtz-Zentrum München. "Durch den Hormonschutz vor den Wechseljahren bekommen sie aber im Durchschnitt zehn Jahre später einen Infarkt." Im vergangenen Jahr hat Ladwig im Bundesgesundheitsblatt die zahlreichen geschlechtsspezifischen Unterschiede zusammengestellt. Auch in Deutschland zeigt sich, dass fast doppelt so viele Männer wie Frauen mit Herzbeschwerden in die Notaufnahme kommen. "Das Risiko für Frauen wird noch immer unterschätzt, Symptome werden fehlgedeutet", sagt Ladwig. "Das betrifft nicht nur die Frauen, sondern auch die Ärzte." Dabei sind Frauenherzen nun mal anders. Das gilt auch nach überstandenem Infarkt. Anschließend wünschen sich Männer vor allem, dass sie schnell wieder gesund und fit werden - Frauen möchten hingegen mehr Entlastung im Alltag und emotionale Unterstützung.