Infektionskrankheiten:Mögliche Ursache für rätselhafte Hepatitis-Fälle gefunden

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Mehr als 1000 Kinder sind mittlerweile von der ungeklärten Leberentzündung betroffen. Manche erkranken so schwer, dass sie ein Ersatzorgan benötigen. (Foto: Nacho Gutierrez/imago images/Cavan Images)

Seit Jahresbeginn häufen sich in vielen Ländern Berichte über schwere Lebererkrankungen bei kleinen Kindern. Nun fällt der Verdacht auf zwei altbekannte und weit verbreitete Virus-Arten.

Von Hanno Charisius

Seit Monaten versuchen Fachleute herauszufinden, was hinter einer Reihe von ungewöhnlichen Hepatitisfällen bei Kindern steckt. Zuvor gesunde Kinder unter zehn Jahren erkrankten ohne erkennbare Ursache an einer Leberentzündung. Die Beschwerden reichen von Magen-Darm-Problemen und Abgeschlagenheit bis hin zu so schwerer Krankheit, dass eine neue Leber transplantiert werden musste. Etwa 1000 Fälle beschäftigen seit dem Frühjahr die Gesundheitsbehörden in mehr als 30 Ländern. Nun präsentieren zwei Forscherteams eine mögliche Erklärung. Demnach könnte eine Doppelinfektion mit zwei verschiedenen Viren eine Rolle spielen. Überraschenderweise zählt das Coronavirus Sars-CoV-2 aktuell nicht zu den Verdächtigen.

Bei einer Hepatitis liegt es nahe, nach Viren zu suchen, die für die entzündliche Reaktion der Leber verantwortlich sein könnten. Allerdings stand bei den rätselhaften Fällen schnell fest, dass die üblichen Erreger ausgeschlossen werden können. Sie wurden bei den kranken Kindern nicht gefunden. Stattdessen stießen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder auf Adenoviren. Das sind weit verbreitete Erreger, die meist zu milden Krankheiten mit erkältungsähnlichen Symptomen, Erbrechen und Durchfall führen. Leberentzündungen seien jedoch "eine bekannte seltene Komplikation", schrieb das Robert-Koch-Institut Ende April, nachdem ein erster Fall aus Deutschland bekannt geworden war. Doch von diesen schweren Verläufen seien vor allem Immungeschwächte betroffen. Spekuliert wurde daher, dass sich die Adenoviren verändert haben und nun auch Kindern ohne Immunschwäche gefährlich werden könnten.

Auch eine Gen-Variante im Erbgut der betroffenen Kinder könnte beteiligt sein

Laut den zwei neuen Studien, die bislang nur als Vorabversionen vorliegen und noch nicht von unabhängigen Fachleuten begutachtet oder in Fachjournalen veröffentlicht wurden, könnten Adenoviren tatsächlich an den rätselhaften Hepatitisfällen beteiligt sein. Allerdings scheint noch ein zweiter Erreger im Spiel zu sein, das sogenannte Adeno-assoziierte Virus 2 (AAV2) - ein molekularer Trittbrettfahrer, der alleine keine Zellen infizieren kann, sondern dazu immer die Hilfe anderer Viren braucht. Bislang ging man davon aus, dass AAV2 keine Krankheiten auslösen. Aus diesem Grund gelten sie auch als attraktive Transportvehikel für gentherapeutische Eingriffe, die versuchen, ein defektes Gen im Erbgut eines Menschen zu ersetzen.

Nun fanden zwei Teams aus Großbritannien unabhängig voneinander Adeno-assoziierte Viren in den betroffenen Kindern, zusammen mit entweder Adenoviren oder Herpesviren. Sars-CoV-2 tauchte in wenigen Fällen auch auf. Die kleinere Untersuchung aus Schottland, geleitet von Emma Thomson, Professorin für Infektionskrankheiten an der University of Glasgow, fand AAV2 bei allen neun untersuchten Kindern mit auffälliger Hepatitis. Die größere Studie unter Leitung der Virologin Judith Breuer vom University College London untersuchte 28 Hepatitisfälle und fand bei 94 Prozent AAV2, in den allermeisten Fällen in großen Mengen. In Kontrollgruppen mit Kindern ähnlichen Alters fand sich hingegen kaum AA2, auch nicht bei Kindern mit einer Leberentzündung, die auf eine bereits geklärte Ursache zurückzuführen war.

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"Es sieht aus, als wäre die Ko-Infektion der Schlüssel zum Verständnis dieser Hepatitis-Fälle", sagt Deirdre Kelly, Professor für pädiatrische Hepatologie an der University of Birmingham. "Aber es ist noch nicht klar, weshalb einige Kinder so schwer erkranken, dass sie eine Transplantation benötigen. Könnte noch ein Virus beteiligt sein?" Die Antwort könnte auch in den Genen liegen. Beide Arbeitsgruppen fanden in den Erbanlagen der betroffenen Kinder besonders häufig genetische Varianten, die in der britischen Bevölkerung normalerweise sehr viel seltener auftauchen. Unter den neun schottischen Kindern trugen acht (89 Prozent) diese besondere Variante eines Gens der Immunabwehr. Statistisch erwartbar ist diese Variante nur bei 16 Prozent der schottischen Bevölkerung.

Die Häufung der Fälle könnte auch an den beendeten Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie liegen

Judith Breuer und ihr Team beschrieben den möglichen Entstehungsweg der Leberentzündungen als Immunreaktion infolge einer Infektion mit AAV2 und/oder einem anderen Virus bei Kindern, mit entsprechenden Erbanlagen. Dass womöglich nicht alle Betroffenen die fraglichen Erbanlagen besitzen, ist für den Virologen Marco Binder vom Deutschen Krebs­forschungs­zentrum in Heidelberg kein Argument gegen diese These. Dafür könne es viele Erklärungen geben.

Die Häufungen der Hepatitisfälle in diesem Frühjahr schreiben Breuer und Kollegen den beendeten Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie zu. In der Folge hätten sich viele Kinder zum ersten Mal mit den sehr verbreiteten Erregern infiziert und bei ungünstiger Konstellation zwischen Genen und Ko-Infektionen sei es dann zu den auffälligen Hepatitis-Zahlen gekommen.

"Mein Gefühl sagt mir, dass es solche Hepatitisfälle bereits vor der Pandemie gegeben hat", sagte Emma Thomson von der Universität Glasgow, der britischen Zeitung The Guardian. Durch die Veränderungen in der Virusverbreitung durch die Corona-Schutzmaßnahmen seien die sonst sporadischen Fälle nun geballt aufgetreten. Dabei gehe es jedoch nicht zwingend darum, dass Infektionen durch die Schutzmaßnahmen ausgelassen wurden, betont Marco Binder , "stattdessen kann eine Verschiebung der typischen Infektionswellen verschiedener Erreger eine Rolle spielen". Dies sei nicht nur bei Adenoviren passiert, sondern auch bei der Influenza oder den RS-Viren, die Säuglingen schwere Probleme bereiten können. "Überall auf der Welt ist eine solche Verschiebung der typischen Zyklen beobachtet worden."

Thomson und Breuer sind sich einig darin, dass es mehr und größere Untersuchungen mit noch mehr Kindern geben müsse, um ihre Vermutungen zu untermauern.

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