Grippeimpfung:Schutz mit Fragezeichen

Mit viel Aufwand wird Jahr für Jahr für die Grippeimpfung geworben. Doch wie nötig ist die Spritze? Für wen sich die Impfung am ehesten lohnt und wer wahrscheinlich keinen Vorteil hat.

Von Berit Uhlmann

Kaum ist der Altweibersommer vorbei, werden in jedem Jahr aufs Neue Millionen Deutsche zur Grippeschutz-Impfung aufgerufen. Wer der Aufforderung folgt, erhält den Impfstoff gespritzt oder erstmals seit 2012 auch in die Nase gesprüht. Etwa zwei Wochen später soll der Schutz aufgebaut sein.

Die Immunisierung wird in der Regel gut vertragen. Weniger klar ist dagegen der Nutzen. Wie wirkungsvoll die Immunisierung die Influenza verhindert oder zumindest ihre Folgen mildert, ist umstritten - und derzeit nicht abschließend zu klären.

Das liegt zum einen an der großen Wandlungsfähigkeit der Grippeviren. Jeden Winter zirkulieren neue Subtypen. Die Impfstoffe müssen daher immer wieder maßgeschneidert werden - auf der Basis von Einschätzungen, die die WHO lange vor Beginn der Grippesaison vornimmt. Mit ihrer Vorhersage liegt die Behörde mal mehr mal weniger richtig. Demzufolge verzeichnen Studien extreme Schwankungen in der Effektivität der Impfung von Jahr zu Jahr.

Außerdem bringen Menschen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Wer schon einmal eine Influenza eines ganz ähnlichen Typs durchgemacht hat, hat eine höhere Immunität - ganz unabhängig von der Impfung. Zudem weiß man, dass sich vor allem solche Menschen impfen lassen, die auch ansonsten sehr gesundheitsbewusst leben und beispielsweise mehr auf Hygiene achten. Solche Einflussfaktoren können Studienergebnisse verzerren.

Prinzipiell bietet eine Impfung keinen hundertprozentigen Schutz vor der Grippe. Wichtig sind auch hygienische Maßnahmen. So sollten die Hände im Winter häufiger gründlich gewaschen werden. Soweit möglich sollte der Kontakt zu Erkrankten vermieden werden. Was Sie sonst noch tun - oder aber lassen - können, um sich gegen Infekte zu wappnen, erfahren Sie in unserem Erkältungs-Ratgeber.

Wem die deutschen Behörden die Impfung empfehlen und wie viel man über die Wirksamkeit weiß, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Senioren

Empfehlung: Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (Stiko) rät allen Menschen ab 60 Jahren zur jährlichen Grippeimpfung.

Begründung: Bei älteren Menschen ist die Gefahr für Komplikationen wie Lungenentzündungen höher. 90 Prozent aller Todesfälle durch Influenza-Viren ereignen sich in der Gruppe der über 65-Jährigen.

Wirksamkeit: Obwohl Senioren zu den Bevölkerungsgruppen gehören, denen die Impfung schon sehr lange empfohlen wird, ist die Studienlage äußerst dürftig. Eine große Übersichtsstudie aus dem Jahr 2012 fand keine einzige hochwertige Untersuchung, bei der der Imfpstoff und ein Placebo miteinander verglichen wurden.

Die Stiko räumt zudem ein, dass das Immunsystem älterer Menschen oft weniger gut auf die Impfung anspricht. Dennoch verbindet sich mit der Impfung die Hoffnung, dass zumindest die schweren Verläufe verhindert werden können.

Schwangere

Empfehlung: Seit einigen Jahren wird auch werdenden Müttern die Impfung offiziell empfohlen - ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel. Eine Impfung ist auch im ersten Drittel unbedenklich. Mit ihrer Einschränkung will die Stiko jedoch verhindern, dass die vor allem zu Beginn einer Schwangerschaft möglichen Fehlgeburten fälschlicherweise mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden. Schwangere mit chronischen Krankheiten sollten sich auf jeden Fall gleich zu Beginn der Schwangerschaft impfen lassen.

Begründung: Werdende Mütter haben ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Komplikationen. Während der Schwangerschaft wird ihr Immunsystem etwas toleranter, damit es das Kind nicht als Fremdkörper wahrnimmt. Die Veränderungen während der Schwangerschaft, etwa das kleinere Lungenvolumen und die erhöhte Herzfrequenz, machen es zusätzlich schwer, mit einer Influenza fertig zu werden. Eine Grippeerkrankung der Mutter kann zu Frühgeburten und kindlichen Wachstumsstörungen führen.

Wirksamkeit: Wie bei allen Bevölkerungsgruppen ist der Nutzen auch für Schwangere schwer zu bestimmen. Ein Vorteil aber scheint sicher: Man hat im Blut von Neugeborenen Antikörper gegen die Viren gefunden - übertragen durch geimpfte Mütter. Dieser Schutz ist besonders in den ersten sechs Lebensmonaten von großem Vorteil. Denn zu der Zeit sind Säuglinge noch anfällig für Infektionen, die Grippe-Impfstoffe aber sind erst für mindestens sechs Monate alte Kinder zugelassen.

Alle bisherigen Erfahrungen lassen den Schluss zu, dass die Impfung für Schwangere und Ungeborene sicher ist. In den USA werden Schwangere bereits seit den 60er Jahren geimpft. Seither sind keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt geworden. Auch für stillende Mütter ist die Impfung möglich. Allerdings empfiehlt die Stiko sie nicht explizit, da das Erkrankungsrisiko im Vergleich zu Schwangeren nicht so groß ist.

Chronisch Kranke

Empfehlung: Geimpft werden sollten alle Menschen ab einem Alter von sechs Monaten, mit schweren chronischen Erkrankungen wie:

  • Atemwegs-Krankheiten (Asthma, chronischer Bronchitis, COPD)
  • Herz-Kreislauf-Erkankungen
  • Nieren oder Lebererkrankungen
  • Diabetes
  • Sowie Menschen mit eingeschränkt arbeitenden Immunsystem, zum Beispiel aufgrund einer Chemotherapie

Begründung: Diese Menschen haben ein höheres Risiko, schwere Krankheitsverläufe zu entwickeln.

Wirksamkeit: Der Nutzen hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die Betroffene mit ihrem Arzt besprechen sollten.

Medizinisches Personal

Empfehlung: Die Stiko empfiehlt die Impfung allen Menschen, die in einem medizinischen oder pflegerischem Beruf arbeiten.

Begründung: Bei dieser Empfehlung steht weniger der persönliche Schutz der Ärzte und Pfleger im Vordergrund als die ethische Verpflichtung, ihre Patienten nicht zu gefährden. Denn wer geimpft ist, kann die Infektion in aller Regel nicht mehr übertragen.

Wirksamkeit: Diese Hoffnung dürfte sich allerdings nicht erfüllen. So ergab eine Umfrage in der Grippesaison 2007/08, dass sich nur 22 Prozent des medizinischen Personals impfen ließen. Damit liegt deren Impfrate noch unter der der Allgemeinbevölkerung (31 Prozent).

Eine aktuelle Übersichtsstudie aus Israel kommt außerdem zu dem Schluss, dass es keinen ausreichenden Beweis gibt, dass die Impfung von Ärzten und Pflegern Infektionen von Kranken wirksam verhindern kann. Denn Kranke können sich immer noch über Besucher und andere Patienten anstecken, die hygienische Maßnahmen wie Händedesinfektion weniger beachten.

Kinder

Empfehlung: Die Stiko empfiehlt gesunden Kindern die Impfung nicht explizit. Sie betont allerdings, dass sie auch nicht abrät. Ab einem Alter von sechs Monaten können Kinder die Immunisierung bekommen. Viele Länder raten ganz offiziell dazu. Auch die sächsische Impfkommission teilt die Einschätzungen, dass alle Kinder geimpft werden sollten.

Begründung: Die Stiko führt an, dass eine Grippe bei Kindern in der Regel ohne schwere Komplikationen verläuft. In Ländern wie den USA oder in Sachsen betonen die Behörden dagegen, dass es auch bei Kindern schwere Verläufe geben kann - und dass Kinder wesentlich zur Verbreitung der Grippe beitragen, da sie einen engeren Körperkontakt pflegen und weniger hygienisches Verhalten zeigen.

Wirksamkeit: Auch bei Kindern ist die Effektivität von sehr vielen Faktoren abhängig, so dass Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Alles in allem scheint es einen kleineren Effekt bei Kindern zu geben, die älter als zwei Jahre sind. Für jüngere Kinder gibt es keine belastbaren Untersuchungen.

Gesunde, jüngere Erwachsene

Empfehlung: Die Impfkommission empfiehlt die Spritze nicht generell, rät aber auch nicht ab. Manche Arbeitgeber bieten ihren Angestellten kostenlose Schutzimpfungen an.

Begründung: Die Stiko verweist darauf, dass schwere Verläufe bei Erwachsenen selten sind. Arbeitgeber wiederrum verbinden mit dem Angebot die Hoffnung, Ausfälle ihrer Angestellten reduzieren zu können.

Wirksamkeit: Nur ein Stück weit kann die Impfung diese Erwartung erfüllen. Eine große Übersichtsstudie, in die Daten von etwa 70.000 gesunden Erwachsenen einflossen, ergab: In den Jahren, in denen das Serum sehr gut zu den zirkulierenden Viren passt, müssen 33 Menschen geimpft werden, um eine Erkrankung zu verhindern. In Jahren mit weniger guter Übereinstimmung kommt nur eine verhinderte Krankheit auf 100 Impfungen. Dagegen konnte die Impfung weder ernste Komplikationen noch Krankenhauseinweisungen abwenden.

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