Die Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes (UBA) kam 2012 bei Messungen in Deutschland allerdings zu anderen Ergebnissen. (Bundesgesundheitsblatt, Bd. 55, 2012). "Aus den Werten, die wir im Urin gemessen haben, kann zurückgerechnet werden, dass Kinder und Jugendliche in Einzelfällen täglich bis zu sieben Mikrogramm Bisphenol A pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen" berichtet Andreas Gies. Deutlich mehr also als der jetzt vorgeschlagene Höchstwert von fünf Mikrogramm.
Gies ist daher nicht der Meinung, dass alles beim Alten bleiben kann: "Wenn der TDI jetzt gesenkt wird, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um ihn einzuhalten." Als relevante Quellen seien Lebensmittelverpackungen, etwa die Innenbeschichtungen von Konservendosen, zu prüfen. Auch die Risiken der Innenbeschichtung von Trinkwasserleitungen müssten überdacht werden. Darüber hinaus gebe es weitere Quellen , von denen man nicht genau wisse, wie viel sie beitragen, etwa Kassenbons aus Thermopapier, oder moderne Kunststoffmöbel aus Polycarbonat.
Auch Detlef Wölfle vom BfR sieht neuen Regulierungsbedarf: "Wenn die EU-Kommission dem Efsa-Vorschlag folgt, müsste die Verordnung geändert werden, die begrenzt, wie viel BPA aus Verpackungsmaterial in Lebensmittel übergehen darf - der sogenannte Migrationswert. Er müsste halbiert werden."
Strittig ist, ob der neue BPA-Grenzwert auch Einfluss auf die Regulierung der Substanz im europäischen Chemikalienrecht (Reach) haben wird. Deutschland ist federführend für die derzeit laufende Bewertung von BPA durch die Europäische Chemikalienbehörde in Helsinki (Echa). Derzeit wird bei der Echa ein Antrag aus Frankreich diskutiert, BPA künftig als Stoff zu behandeln, der "wahrscheinlich" die Fortpflanzung gefährdet. Bislang galt er bloß als "verdächtig".
Mark Schwägler, Koordinator der Stoffbewertung bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund, sieht hier keinen Zusammenhang. Die Verfahren bei Echa und Efsa laufen demnach unabhängig voneinander.
Anders sieht es Christoph Schulte, Leiter des Fachgebiets Chemikalien im Umweltbundesamt und dort zuständig für Reach. "Die Herabsetzung des TDI wird mit Sicherheit auch die Bewertung von BPA im Reach-Prozess beeinflussen", sagt er. "Wenn BPA als hormonähnlicher Stoff als besonders besorgniserregende Chemikalie identifiziert würde, stünde eine Zulassungspflicht für jede Verwendungsart an. Das hieße, BPA dürfte wahrscheinlich auf Antrag weiter verwendet werden - etwa für CDs, die man ja kaum in den Mund nimmt - aber es würde für jeden Einsatzbereich geprüft, ob die Substanz hier sicher ist und ob es bessere Alternativen gibt", sagt Andreas Gies. Damit würde also weit mehr reguliert, als nur der BPA-Gehalt in Lebensmittelverpackungen, die ohnehin nur etwa drei Prozent der gesamten BPA-Produktion ausmachen.
Doch dieser Prozess könnte sich hinziehen. Noch mehrere Jahre werde die Bewertung von Bisphenol A im Reach-Prozess dauern, meint Mark Schwägler. Gies dagegen hofft auf eine beschleunigte Diskussion: "Mich erinnert das an die lange Auseinandersetzung um Asbest: Von den ersten Warnungen des Umweltbundesamtes bis zum Verbot hat es 13 Jahre gedauert."
Zunächst bleibt abzuwarten, ob die EU-Kommission dem Efsa-Vorschlag für eine Absenkung des TDI folgt. Ohnehin wird es sich um eine vorläufige Obergrenze handeln, weil die EU-Behörde noch die Ergebnisse laufender Forschungsarbeiten über hormonelle Wirkungen in den USA im Rahmen des National Toxicology Program abwarten will. "Das kann durchaus zu noch niedrigeren Grenzwerten führen", meint Gies.
Umweltschutzorganisationen dagegen sind misstrauisch. Es sei nicht auszuschließen, dass der TDI wieder heraufgesetzt werde, meint Chemie-Expertin Tatjana Santos vom European Environmental Bureau in Brüssel. Sie fürchtet, EU und USA würden sich letztlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, also auf möglichst laxe Standards.
Hintergrund könnte das angestrebte Transatlantische Freihandelsabkommen sein. Hohe Umweltstandards gelten da als Hindernis. Detlef Wölfle vom BfR hält einen solchen Zusammenhang für unwahrscheinlich. Bei Entscheidungen der EU-Kommission spiele vor allem die Harmonisierung von Grenzwerten innerhalb der EU eine Rolle. "Die ist schon schwierig genug zu erreichen, wenn man etwa an die Position Frankreichs denkt, das im Alleingang strengere Vorschriften erlassen hat."