Google:Der Test der Datenkrake

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Google möchte gefährdete Internetnutzer zum Arztbesuch auffordern. (Foto: Tim Gouw / Unsplash)

Google möchte in den USA einen Online-Test für Depressionen anbieten. Darüber sollte man streiten - nicht nur wegen des Datenschutzes.

Kommentar von Christian Weber

Behandlungen sind immer schlecht - es sei denn, man braucht sie. Diesen Satz eines klugen Berliner Psychiaters sollte im Hinterkopf haben, wer das neueste Vorhaben Googles einordnen will: Das Unternehmen möchte in den USA einen Online-Screening-Test für Depressionen anbieten. Wer dann einen Satz wie "Bin ich depressiv?" googelt, bekommt einen Link zum PHQ-9-Fragebogen präsentiert. Das ist ein in der klinischen Praxis verbreiteter Screening-Test, der mögliche Betroffene erkennen und sie zum Besuch beim Arzt ermuntern soll. Ist das nicht eine gute Idee von Google? Darüber sollte man streiten.

Womöglich findet es mancher Therapeut angenehmer, mit milden Melancholikern zu reden

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Zwar stimmt es, dass Depressionen viel zu selten erkannt werden. Mit einer psychischen Krankheit kann man sich halt länger rumschleppen als mit einem Beinbruch. Dennoch gibt es Zweifel, dass breit angelegte Screening-Programme die beste Lösung für dieses Problem sind. Selbst wenn man an das Gute in Datenkraken und der Versicherung Googles glaubt, im geplanten Projekt weder Daten zu speichern noch Anzeigen zu schalten, bleiben Fragen.

So sind Screening-Tests häufig übersensibel. Wer im PHQ-9 ankreuzt, er habe in den letzten zwei Wochen manchmal keine Freude an seinen Tätigkeiten gehabt und leide regelmäßig an Schlafstörungen und Energielosigkeit, dem bescheinigt der Test bereits eine milde Depression. Jeder, der mal ein paar Wochen schlecht drauf ist, springt leichtfüßig über diese Schwelle.

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn dann schnell ein kompetenter Therapeut die Lage klären würde. Doch ist das so? Gut möglich, dass viele Betroffene nur zur Selbstbehandlung schreiten, vielleicht dubiose Mittel kaufen. Umgekehrt ist wahrscheinlich, dass nur leicht verstimmte Menschen das Versorgungssystem noch mehr belasten, zu Lasten der schweren Fälle. Schon heute findet es mancher Therapeut angenehmer, auf Kosten der Kassen mit einem milden Melancholiker über seine Probleme im Leben zu reden, als eine schwere Persönlichkeitsstörung zu behandeln.

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Dabei ist zu bedenken, dass Psychotherapie keine harmlose Seelen-Wellness ist, sondern Nebenwirkungen haben kann. Nur wer sie wirklich braucht, sollte sich ihr aussetzen. Die Einwände schließen nicht aus, dass ein Schnelltest manchen auf die richtige Spur bringen könnte. Doch für Screening im großen Stil müsste sichergestellt sein, dass tatsächlich die bedürftigen Menschen identifiziert werden und danach professionelle Diagnostik und Therapie bereitstehen. Dann könnte gelten, was ein kluger britischer Arzt gesagt hat: Alle Screening-Programme richten Schaden an, manche bewirken auch Gutes.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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