Süddeutsche Zeitung

Tierquälerei:Warum man keine Goldfische verschlingen sollte

Eine misslungene Mutprobe zeigt: Lebende Goldfische zu verspeisen, kann für Menschen lebensgefährlich enden. Tierquälerei ist es obendrein.

Von Patrick Illinger

Man kann sich die Situation lebhaft vorstellen. Vier junge Männer, jede Menge Bier und dann: das Aquarium voller Zierfische. Irgendwann kommt es zur Mutprobe. Na, schon mal einen lebenden Goldfisch verschluckt? Bald zappelt das erste Tier über dem Mund eines der grölenden Typen, plumpst in den Rachen und verschwindet im Hals, ein kräftiger Schluck Bier hinterher. Na, traut ihr euch das auch? Klar, sagen die anderen. Irgendwann sind die Goldfische weg.

Bis auf einen.

Der ist größer als die anderen Fische, gut sechs Zentimeter lang und eher bronzefarben als rotorange. "Grote vis, grote vis" johlen die Männer auf Niederländisch in einem mittlerweile gelöschten Video, "großer Fisch, großer Fisch", während der größte Angeber unter ihnen das Tier in seinen Rachen fallen lässt.

Das war keine gute Idee, wie Chirurgen des Universitätskrankenhauses von Rotterdam im Fachjournal Acta Oto-Laryngologica Case Reports nun berichten. In der Speiseröhre reagierte der in südamerikanischen Gewässern heimische Metallpanzerwels der Art Corydoras aeneus mit seinen natürlichen Abwehrmechanismen. Er spreizte die stacheligen Brustflossen sowie den stattlichen Kamm auf dem Rücken, und verhakte sich heillos im Hals des Betrunkenen. Der Mann konnte weder schlucken, noch den Fisch hervorwürgen. Auch die Versuche, mit den Fingern im Hals einen Brechreiz auszulösen, misslangen.

Erst bei einer Notoperation in der Universitätsklinik wurde der Fisch mitsamt der in der Speiseröhre verhakten Gräten mühsam aus dem Hals befreit. Der Patient musste wegen einer ödematösen Schwellung im Kehlkopfbereich auf die Intensivstation verfrachtet werden, überlebte aber - anders als der Fisch.

Tierschützer sehen die Rituale als Tierquälerei

Man könnte die Episode für einen bizarren Ausrutscher eines höchst bizarren Trinkspiels halten. Tatsächlich jedoch ist das Verschlingen von Gold- oder anderen Fischen in manchen Gesellschaften eine gängige Mutprobe. Bereits Ende der 1930er Jahre war das Goldfischverschlingen an US-Colleges populär. Halbernst gemeint wurde sogar eine "Intercollegiate Goldfish Gulping Association" (IGGA) gegründet, in der die Regeln für das Verschlingen von Zierfischen im Wettkampfstil niedergelegt waren.

Wiederbelebt hat das Ritual vermutlich vor mehreren Jahren eine Episode der TV-Sendung Jackass, in der quotenfördernd ein Goldfisch verschlungen wurde. Und auch in der Komödie "Ein Fisch namens Wanda" wird, was sonst, der namengebende Zierfisch verschluckt. Die Zeitschrift The Atlantic berichtet von einer hartnäckigen Tradition an einem College im US-Bundesstaat Maine, wo der örtliche Zoohändler sich bereits weigert, den Studenten Goldfische zu verkaufen. Der Fall in den Niederlanden zeigt, dass es sich vermutlich nicht um ein rein amerikanisches Phänomen handelt.

Tierschützer haben sich immer wieder gegen diese Form der Tierquälerei ausgesprochen. Auch haben Universitäten klare Verbote erlassen. Doch sind nur wenige Fälle dokumentiert, in denen die Polizei aktiv wurde. Tatsächlich ist es je nach Kulturraum nicht einfach, die Grenze zwischen Speise- und Zierfisch zu ziehen. In Fernost gilt das Verspeisen eines bei lebendigem Leib aufgeschnittenen Fisches als besondere Delikatesse.

Die Überreste des bronzefarbenen Metallpanzerwels sind heute übrigens als konserviertes Exponat im Naturkundemuseum von Rotterdam zu sehen. Schwanz- und Rückenflosse fehlen allerdings. Diese Körperteile mussten bei der Beseitigung aus der Speiseröhre des Mannes amputiert werden.

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