Gesundheitswesen:Wir brauchen die Superklinik

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Wenige Großkliniken sollen viele der kleinen Krankenhäuser ersetzen, so die Idee einiger Wissenschaftler. Das ist utopisch. Leider.

Kommentar von Kathrin Zinkant

Im deutschen Gesundheitssystem fehlt weder Geld noch Personal, sondern eine Portion Shopping-Mentalität. Fürs gleiche Geld wenige hochwertige Produkte zu wollen statt große Mengen Ramsch, ist für viele Menschen selbstverständlich. Warum nicht auch, wenn es um Leib und Leben geht? Diese Frage haben sich sechs Mediziner und Gesundheitsexperten gestellt und nun im Namen der Nationalen Akademie der Wissenschaften dargelegt, dass dafür vier von fünf allgemeinen Krankenhäusern schließen müssten. Wenn man spürbar etwas für das Gesundheitssystem bewirken will.

In der Klinik der Zukunft würde es alles geben, was der Patient womöglich dringend braucht

Dann stünde im Ruhrgebiet nicht an jeder zweiten Straßenecke ein Krankenhaus, dem diese Abteilung oder jenes Gerät fehlt. Es gäbe nur noch die eine Klinik in Reichweite, die dafür von Stroke Unit bis Neugeborenenmedizin den Rundumservice böte. Wie ein Einkaufszentrum, das von Drogerie bis Schuhladen mit allem ausgestattet ist. Und für das man etwas längere Strecken hinnimmt, weil dort alles zu bekommen ist. Genau so wäre die Superklinik auf jeden Kranken bestens vorbereitet, für Notfallpatienten stünden sogar Hightech-Krankenwagen bereit.

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Von Kathrin Zinkant

Ein derart radikaler Wandel ist in Deutschland jedoch undenkbar. Nicht, weil er falsch wäre. Sondern weil die Mentalität beim Thema Gesundheit eben eine andere ist. Politiker brüsten sich lieber mit neuen Kliniken statt geschlossenen. Der Föderalismus verhindert, dass veraltete Kliniken abgewickelt oder modernisiert werden, weil das Geld dafür in der Bürokratie festhängt. Und der Betrieb der Kliniken lastet nicht auf der öffentlichen Schulter allein. Es gibt freigemeinnützige Träger wie die Kirchen. Und private Betreiber. Über beide hat der Staat wenig Macht. Ein großmaschiges Netz von wenigen Superkliniken wie in Dänemark ist in Deutschland deshalb utopisch.

Dennoch ist sie wichtig, die wissenschaftlich begründete Vision vom Superkrankenhaus mit modernem Gerät, Ärzten aller Fachrichtungen - und Pflegekräften, die mehr Zeit haben für die Patienten. Und die all den Hygienevorschriften im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen folgen können, die derzeit jeden Rahmen sprengen. Die Idee zeigt, wie wissenschaftliche Politikberatung funktioniert: Sie gibt eine Richtung vor. In diesem Fall, um Kliniken ohne zusätzliches Geld und mit dem vorhandenen Personal wirtschaftlicher und viel besser zu machen.

Nur schade, dass niemand zuhört. Die Superklinik ist das Gegenteil dessen, was auf politischer Ebene gefordert wird: Mehr Geld, mehr Personal - und Kontrollen, die kontrollieren sollen, was oft fehlt: Qualität. Es könnte kaum deutlicher sein, was für ein Holzweg das ist.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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