Elena Stancu ist eine Journalistin aus Bukarest. Der Artikel entstand im Rahmen des "Balkan Fellowship for Journalistic Excellence". Das Stipendium wird von der deutschen Robert Bosch Stiftung, der ERSTE Stiftung aus Wien und dem "Balkan Investigative Reporting Network" (BIRN) vergeben. So sind aufwendige Reportagen über die harte soziale Realität in Südosteuropa entstanden. Süddeutsche.de veröffentlicht drei Texte, die von einer Journalisten-Jury ausgewählt und mit Prämien bedacht wurden.
Bestechen oder nicht bestechen - das ist die Frage, der sich Rumäniens frisch gebackene Ärzte nicht entziehen können.
Maria Barbu hat es versucht. Sie sah sich nach einem Job auf dem Land um, in der Hoffnung, so der Korruption und Vetternwirtschaft zu entkommen, die einer Karriere in den Großstädten förderlich sind.
Aber sogar in einer Kleinstadt mit 8000 Einwohnern wollte der Leiter des Krankenhauses 5000 Euro, damit er sie einstellte. "Wir haben in seinem Büro geredet und er hat mir ganz unverblümt den Preis genannt", erzählt sie.
Barbu hielt an ihren Prinzipien fest und weitete ihre Suche aus. Tausende Kilometer entfernt bot ihr ein Spital in der deutschen Stadt Kassel eine Stelle an. Sie sagte zu und nahm für den Umzug einen Kredit über 5000 Euro auf - die gleiche Summe, die sie die Bestechung gekostet hätte, der sie so entgangen war.
Sie fuhr mit ihrem Mann nach Deutschland, in einem schäbigen Renault Clio, der jetzt vor ihrem Haus parkt. Es sei das "umweltunfreundlichste Auto" in Kassel, scherzt Barbu. Das Nummernschild ist noch immer rumänisch.
Ein Heiligenbild aus der Heimat schmückt das Wohnzimmer. Barbu gibt zu, dass der Umzug nicht ihrem Charakter entsprach. Ihre Freunde hätten niemals gedacht, dass sie sich der Flucht der Rumänen aus ihrer Heimat anschließen würde, um im Ausland zu arbeiten.
"Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich auf Abenteuer einlassen", meint sie und serviert Suppe in einer traditionellen Schüssel. "Ich bin ängstlich."
Sie sei jedoch froh, nach Deutschland gekommen zu sein, auch wenn der graue nordeuropäische Himmel gewöhnungsbedürftig ist. "Ich fühle mich von meinen Patienten und der Gesellschaft respektiert", so Barbu. "Als ich um meine Papiere ansuchte, hatte ich das Gefühl, als Ärztin einen gewissen Status zu haben."
Ihre rumänischen Kollegen genießen nicht so viel Wertschätzung. Der Berufsstand der Ärzte gilt weithin als korrupt. Patienten bestechen ihre Ärzte häufig. Manche bestehen sogar darauf, in der Hoffnung, sich so die bestmögliche Betreuung zu sichern. Der korrupte Arzt, oft heimlich abgehört, ist zum zentralen Thema verdeckter Ermittlungen von Boulevardblättern und Nachrichtensendungen geworden.
Doch hinter dieser Verteufelung steckt eine weniger offensichtliche Kultur der Korruption, zu deren Opfern auch die Mediziner zählen.
In jeder Phase ihrer beruflichen Laufbahn müssen Ärzte und Pflegepersonal in Rumänien mit einem System zurande kommen, dem vorgeworfen wird, es belohne Bestechung und Vetternwirtschaft gleich wie Leistung.
Natürlich halten viele von ihnen dieser Korruption stand. Andererseits zahlen viele auch unter der Hand für eine gesicherte Ausbildung, einen Arbeitsplatz oder eine Beförderung.
Die Beträge können hoch sein, manchmal sind mehrere zehntausend Euro im Spiel. Sie scheinen angesichts einer stotternden Wirtschaft gerechtfertigt, in der das Gesundheitswesen eine der wenigen Branchen ist, die ein sicheres, wenn auch dürftiges Gehalt versprechen. Zudem lässt sich die Summe an gezahlten Bestechungsgeldern irgendwann wieder durch erhaltene Schmiergelder zurückgewinnen.
Diese Geschichte des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zeigt auf, wie die schleichende Korruption unter Ärzten einen Teufelskreis erzeugt, dem ihre Patienten und nachfolgende Generationen von Kollegen nicht entkommen.
"Mit ein paar wenigen Ausnahmen, die Glück hatten, werden alle Hochschulabsolventen in ein korruptes System gezwungen", erklärt Vintila Mihailescu, Soziologieprofessor an der Nationalen Hochschule für Politik- und Verwaltungswissenschaften in Bukarest.
"Die größte Schuld liegt stromaufwärts", fügt er hinzu und beschreibt, wie Ärzte, die für ihren Arbeitsplatz zahlen, Schmiergeld annehmen müssen, um ihre Investition zu amortisieren.