Schlechte Zähne steigern Gesundheitsrisiken:Wie ein Organsystem

Mund, Kiefer und Gesicht muss man als ein Organsystem begreifen, das andere Organe wie das Herz in Mitleidenschaft ziehen kann, wenn es nicht funktioniert", sagt der Kieferchirurg Heinz Kniha von der Universität München. Übermäßiger Zahnbelag könne dazu führen, "dass sich das umliegende Zahnfleisch entzündet und auch die Verankerung des Zahns angegriffen wird", so Kniha. Fallen Zähne aus, bieten die Lücken im Gebiss Bakterien zusätzlichen Platz.

Insgesamt gilt also: Je schlechter das Gebiss, desto häufiger entstehen Entzündungen im Mundraum. "Die natürliche Bakterienflora verschiebt sich dann, sodass gesundheitsschädliche Keime überhandnehmen können und über Verletzungen am Zahnfleisch in die Blutbahn gelangen", sagt Kniha. In der Folge können sich die Bakterien an Verkalkungen in Herz- und Halsgefäßen ansiedeln und letztlich zum Gefäßverschluss mit gravierenden Konsequenzen führen: Herzinfarkt und Schlaganfall.

Gleichzeitig bedeutet jede Entzündung Stress für das Immunsystem. Um die körpereigene Abwehr zu aktivieren, schüttet die Leber eine größere Anzahl sogenannter Akute-Phase-Proteine ins Blut aus, unter anderem das C-reaktive Protein (CRP) und Fibrinogen. Letzteres aber spielt nicht nur als Entzündungsvermittler eine Rolle, sondern auch bei der Verklumpung von Blutplättchen.

Ein erhöhter Fibrinogen-Spiegel unterstützt also den Verschluss von Arterien in Herz oder Hals, in denen sich ohnehin schon Bakterien abgelagert haben. Damit steigt die Gefahr für einen Infarkt weiter. Ebenso können erhöhte CRP-Werte langfristig die Gefäße schädigen und zur Verkalkung beitragen. Zwar ist hier der genaue Mechanismus unklar, doch CRP ist bekannt dafür, dass es bei bakteriellen Infekten stark ansteigt.

Wenn jemand ein schlechtes Gebiss hat, können aber nicht nur Arterien in Herz oder Gehirn verkalken, sondern auch Nieren- oder Beingefäße.Letztlich kann sich ein chronisches Nierenversagen entwickeln oder auch die für Raucher typische Schaufensterkrankheit, bei der die Betroffenen nach kurzen Gehstrecken starke Schmerzen in den Beinen verspüren und pausieren müssen.

"Wir sehen außerdem, dass Parodontitis das Risiko für Diabetes erhöht, unabhängig von anderen Risikofaktoren", sagt Zahnmediziner Thomas Kocher von der Universität Greifswald. Seit 1997 untersucht Kocher in einer breitangelegten Studie die Auswirkungen von Entzündungen des Zahnhalteapparats auf den Gesamtorganismus. So konnte sein Team zeigen, dass die Blutzuckerwerte nach erfolgreicher Parodontitis-Behandlung deutlich sinken.

Manche Forscher sehen mittlerweile sogar Demenzerkrankungen und Frühgeburten im Zusammenhang mit einem schlechten Gebiss, auch wenn die Belege hierfür noch nicht ausreichend sind.

Besonders gefährdet für Folgekrankheiten sind Patienten, deren Körper bereits geschwächt ist. "Raucher und Diabetiker haben häufiger entzündetes Zahnfleisch oder Parodontitis, und entsprechend ist der Bakterienspiegel im Blut erhöht", sagt Kniha. Bei Patienten mit künstlichen Herzklappen oder angeborenen Herzfehlern können die Bakterien außerdem zu einer Entzündung der Herzinnenhaut führen. Deshalb bekommen sie vor zahnärztlichen Eingriffen ein Antibiotikum verabreicht.

Letztlich bedingen sich die Krankheiten in diesem multikausalen Geschehen gegenseitig", so Kniha. Um so wichtiger sei es, den ganzen Körper in Ordnung zu halten, bei den Zähnen angefangen. "Die professionelle Zahnsteinentfernung führt zu weniger Entzündungen und das wiederum zu weniger kardiovaskulären Krankheiten", ergänzt Chen. Allein in Deutschland starben im Jahr 2010 mehr als 350.000 Personen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Damit zählten sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mit 41,1 Prozent zu den häufigsten Todesursachen, weit vor bösartigen Tumoren.

Womöglich kommen daher künftig ganz neue Aufgaben auf den Zahnarzt zu. "Wir sehen die Hälfte der Bevölkerung zweimal im Jahr und oft früher als andere Arztgruppen. Deshalb hätten wir die Möglichkeit, die Patienten aufzuklären und vielleicht sogar eine kleine Rundum-Vorsorge mit Blutdruckmessung und Blutzuckerbestimmung durchzuführen", sagt Kocher.

Genau das fordern nun auch Mediziner der Universität New York im American Journal of Public Health: In einer aktuellen Studie zeigen sie, dass in den USA rund 20 Millionen Menschen regelmäßig zum Zahnarzt gehen, den Allgemeinarzt aber meiden.

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