Gesundheitspolitik der großen Koalition:Mangelverwaltung und Phrasen

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Kliniken entlassen Patienten immer eher. Oft kommen sie mit Komplikationen zurück. (Foto: dpa)

Am Ende war die Einigung doch nur hasenfüßig: Eine Gesundheitspolitik, die sich an Bedürfnissen der Patienten orientiert, ist im Koalitionsvertrag nicht zu erkennen. Denn niemand hat sich getraut zu sagen, dass es im Gesundheitswesen primär um Interessen der Klinikverbände, Krankenkassen, der Medizin- und Pharmaindustrie geht.

Ein Kommentar von Werner Bartens

Gesundheitspolitik gilt als Straflager des Parlaments. Kaum jemand, der hier aktiv war, hat sich davon erholt. Zurück bleiben Gekränkte, Gescheiterte oder Menschen wie Horst Seehofer. Vielleicht ist der Verschleiß in der Gesundheitspolitik der Grund dafür, warum der Koalitionsvertrag zum Thema so hasenfüßig ausgefallen ist. Mangelverwaltung und Phrasen allenthalben. Gefühlte 97 Mal wird betont, dass die Patienten im Mittelpunkt stehen. Aufrichtig ist das nicht.

Niemand hat sich getraut zu sagen, dass es im Gesundheitswesen primär um Interessen der Klinikverbände, Krankenkassen, der Medizin- und Pharmaindustrie geht.

Eine Gesundheitspolitik, die sich an Bedürfnissen der Patienten orientiert, ist im Koalitionsvertrag nicht zu erkennen. Auch in Zukunft werden gesetzlich Versicherte länger auf Arzttermine warten und Privatversicherte öfter unnötig untersucht. Dass sich die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung dem Solidarprinzip entziehen, scheint niemanden mehr zu stören - das Konzept der Bürgerversicherung ist nicht mal im Ansatz zu erkennen.

Patientenorientierung, das hätte auch bedeutet, künftig nur zu bezahlen, was nützt und hilft. Seit Jahren ist das Gegenteil der Fall. In Kliniken werden etliche Untersuchungen und Behandlungen angeboten, deren Vorteil nicht erwiesen ist. Ein Nutzen muss nicht belegt sein. Das Krankenhaus ist zum Warenhaus verkommen, mit ständig wechselndem Sortiment.

Die große Gesundheitskoalition will am System der Fallpauschalen festhalten. Gezahlt wird nach Diagnosen, nicht nach Notwendigkeit. Das ist groteske Gleichmacherei. Ein Patient will nach der Hüft-OP Marathon laufen, der andere nur die Treppe schaffen. Wie wenig das System den Bedürfnissen Einzelner entspricht, zeigt die Frage: Was haben zehn Diabetiker gemeinsam außer einem entgleisten Blutzucker?

Dass einheitlich pro Fall erstattet wird, hat zu "blutigen Entlassungen" geführt: Patienten verlassen schlecht versorgt die Klinik, wenn die nichts mehr an ihnen verdient. Drehtürmedizin ist die Folge. Patienten müssen nach Hause, bevor sie gesund sind - und werden postwendend wieder aufgenommen. Die Wiederaufnahme lässt sich neu abrechnen. Um diesen Unsinn zu perfektionieren, werden Diagnosen frisiert und Ärzte lernen in Kursen, die Kodierung der Krankheiten zu optimieren und der Klinik so mehr Einnahmen zu verschaffen. Geändert wird daran: nichts.

Auch auf dem Arzneimittelmarkt ist Patientenschutz offenbar nicht wichtig. Dass Menschen "unmittelbaren Zugang zu neuen Arzneimitteln" haben sollen, wie der Koalitionsvertrag es vorsieht, ist als Drohung zu verstehen. Neue Medikamente sind weniger geprüft und daher riskanter. Fast alle Arzneimittelskandale gingen auf Mittel zurück, die sich erst kurz auf dem Markt befanden. In Italien zahlen Pharmafirmen in einen Fonds, der neue Mittel überprüft.

Union und SPD wollen zudem ein Institut gründen, das die Versorgungsqualität ermittelt. Das ist Symbolpolitik, denn Deutschland blamiert sich regelmäßig in Vergleichsstudien zu medizinischen Fragen, weil es sich nicht beteiligen kann. Es fehlen immer noch ein nationales Krebsregister und die seit Jahren geforderten Register zu Implantaten oder Organtransplantaten. Ärzte wissen in vielen Bereichen schlicht nicht, ob ihre Therapie wirkt.

Bestehende Qualitäts-Institute wie das IQWiG oder die Cochrane-Zentren, die prüfen, was hilft, werden hingegen weder politisch noch von Ärzteverbänden genug unterstützt. Sie stören offenbar, weil sie dem freien Markttreiben im Gesundheitswesen das Spiel verderben und oft feststellen: Hilft nicht, nutzt nicht. Ein neues Qualitäts-Institut, das kaum Befugnisse hat, gleicht dem Kaninchen, das zum Ethikbeauftragten in der Schlangengrube ernannt wird.

© SZ vom 02.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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