Süddeutsche Zeitung

Gesundheitspolitik:Bundestag will Pflegebedürftige besserstellen

Im Mittelpunkt der Reform stehen vor allem Demenzkranke. Allerdings bringt die Reform nicht nur Vorteile.

Von Kim Björn Becker

Das deutsche Pflegesystem steht vor der größten Reform seit etlichen Jahren. An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgelegte Pflegereform ab. Eine Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten zu dem Gesetzentwurf gilt als sicher.

Das sogenannte Pflegestärkungsgesetz II sieht vor, dass die bisherigen drei Pflegestufen zum 1. Januar 2017 in fünf Pflegegrade umgewandelt werden. Auf diese Weise soll es besser als bislang möglich sein, das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit von Alten und Kranken zu erfassen. Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) prüften die Fähigkeiten von Antragstellern bisher in 30 einzelnen Kategorien, in Zukunft sollen es 77 sein.

Etliche Pflegebedürftige können mit mehr Geld rechnen

Im Mittelpunkt der Reform stehen vor allem Demenzkranke, die bisher unzureichend berücksichtigt worden sind. Zusätzlich zu den 2,8 Millionen Menschen, die derzeit pflegebedürftig sind oder es bis zum Ende des kommenden Jahres sein werden, kommen somit schätzungsweise weitere 500 000 Demenzkranke, die erstmals Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung haben werden.

Etliche Pflegebedürftige können im Zuge der Reform mit mehr Geld rechnen, allerdings bringt die Reform für Betroffene nicht nur Vorteile. In manchen Fällen gibt es von 2017 an weniger Leistungen, dafür steigen die Eigenanteile der Betroffenen nun nicht mehr mit dem Umfang der Pflegebedürftigkeit an.

Damit niemand, der bereits jetzt Pflege benötigt, schlechtergestellt wird, kündigte Gesundheitsminister Gröhe einen Bestandsschutz an. Auch eine gesonderte Begutachtung durch den MDK soll es für sie im Zuge der Reform nicht geben, stattdessen werden die alten Pflegestufen automatisch in das neue System der Pflegegrade übertragen. Alle, die sich nach dem 1. Januar 2017 erstmals als pflegebedürftig melden, fallen aber automatisch in das neue System.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisierte das Gesetz vor diesem Hintergrund als unzureichend. So erhielten Pflegeheime nach wie vor zu wenig Geld, unter anderem für die Begleitung Sterbender. Wie die Pflege in Zukunft "gesichert und finanziert werden kann", darauf gebe das Gesetz keine Antwort, so Brysch.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Hilde Mattheis, bezeichnete das Gesetz als einen grundlegenden "Perspektivwechsel" in der Pflegepolitik. Den Pflegebedürftigkeitsbegriff auf Demenzkranke auszuweiten, sei der "absolut richtige Ansatz", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Um die Kosten der Reform - von 2017 an sollen sie etwa fünf Milliarden Euro jährlich betragen - zu finanzieren, wird der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte angehoben.

Zudem wies Mattheis auch eine weitere Kritik an dem Gesetz zurück. Nachdem das Kabinett den Entwurf Mitte August beschlossen hatte, rügten Kritiker, dass die Reform den Betroffenen lediglich auf dem Papier Vorteile bringe - in der Praxis jedoch, so hieß es, seien die Heime und ambulanten Hilfsdienste aufgrund des Personalmangels nicht in der Lage, die neu beschlossenen Leistungen für Pflegebedürftige überhaupt zu erbringen.

Mattheis: Nichts tun wäre unlogisch

Dagegen wandte Mattheis nun ein, dass die Reform auch vorsehe, dass bis zum Jahr 2020 einheitliche Standards definiert werden sollen, wie viel Personal für die Betreuung von Pflegebedürftigen mindestens vorhanden sein muss. Derzeit gibt es eine solche Regelung nicht. "Deswegen zunächst gar nichts zu tun, wäre völlig unlogisch", sagte sie.

Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), nannte das Gesetz die "bedeutendste Reform der Pflegeversicherung in ihrer 20-jährigen Geschichte". Zugleich wandte er sich erneut gegen die umstrittene Benotung von Pflegeheimen. Selbst Einrichtungen mit teils untragbaren Zuständen hatten in der Vergangenheit Bestnoten erhalten. Der sogenannte Pflege-TÜV soll mit dem Pflegestärkungsgesetz II auf eine neue Grundlage gestellt werden. Bis zur geplanten Umsetzung im Jahr 2018 sollen die Heime aber weiterhin mit den alten Bewertungen werben dürfen.

"Vergessen Sie den heutigen Pflege-TÜV", sagte Laumann. Um sich ein möglichst realistisches Bild zu machen, sollten sich die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen selbst die Einrichtungen anschauen. Ein neues Bewertungssystem soll laut Laumann in Zukunft verhindern, "dass schwere Pflegefehler bei der Medikamentenausgabe durch eine schön gedruckte Speisekarte ausgeglichen werden können".

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SZ vom 13.11.2015/fie
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