Gesundheit - Wiesbaden:Kliniken spüren hohen Druck: Jüngere auf Intensivstationen

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Wiesbaden/Frankfurt (dpa/lhe) - Der hessische Gesundheitsminister Kai Klose (Bündnis 90/Die Grünen) hat vor einer weiteren Verschärfung der Lage in hessischen Kliniken gewarnt. Die Situation der stationären Patientenversorgung einschließlich der Intensivstationen in den Krankenhäusern sei aktuell sehr angespannt, sagte Klose am Montag. "Deshalb muss jeder durch Verzicht auf Kontakte dazu beitragen, dass die Verbreitung des Virus gebremst wird."

Teilweise gebe es mehr Patienten auf den Intensivstationen als während des Jahreswechsels 2020/21, warnte Jürgen Graf, ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Frankfurt und Leiter des Planstabs stationär des Ministeriums. "Der Druck, den wir gegenwärtig in den Kliniken verspüren, ist ein sehr, sehr hoher", betonte der Mediziner. "Die stark angespannte Situation zeigt uns, dass die dritte Welle noch nicht vorbei ist. Auf Basis unserer Prognosen rechnen wir in den nächsten Tagen sogar noch mit einem weiteren Anstieg der Patientenzahlen auf den hessischen Intensivstationen." Diese Entwicklung müsse dringend gestoppt werden, sagte Graf.

Während es vor allem im Raum Frankfurt/Offenbach sowie Darmstadt mittlerweile eng auf den Intensivstationen werde, gebe es im Versorgungsraum Kassel noch Kapazitäten. Hessenweit seien 88 Prozent der Intensivbetten belegt, auch auf den Normalstationen sei die Auslastung hoch. Landesweit sind dort derzeit 83 Prozent der Betten belegt. Schon seit Monaten seien planbare und nicht lebensnotwendige Operationen verschoben worden.

Auf den Intensivstationen hessischer Krankenhäuser lagen nach Daten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin von Montag (Stand 14.19 Uhr) 442 Covid-19-Patienten, von denen 215 beatmet wurden. 1705 von 1948 verfügbaren Intensivbetten waren belegt, auch von Menschen mit anderen Krankheiten.

Die Entwicklung dieser Zahlen zeige deutlich, dass sich die Arbeit in Richtung der Intensivversorgung und dort der Beatmung verlagere, so Graf. "Wir beobachten zudem eine Tendenz, dass das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen sinkt und vermehrt jüngere Personen intensivmedizinisch betreut werden", sagte er.

Die Verschiebung von Eingriffen bedeute nicht, dass diese verzichtbar wären, sagte Klose. "Es geht längst nicht mehr nur um Intensiv- oder gar Covid-19 Patienten, sondern um reguläre Eingriffe, die für jeden Einzelnen von Bedeutung sind." Sie würden von den Patienten "seit langem erwartet und vielleicht auch dringend erhofft." Ob es weiterer Einschränkungen bedürfe, werde die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens und die Patientenzahl in den Krankenhäusern zeigen.

"Wir dürfen aber nicht vergessen, dass alle diese planbaren Eingriffe einer medizinischen Indikation unterliegen. Das heißt, es gibt einen Grund, sie durchzuführen", sagte Graf angesichts der Entscheidungen über Priorisierungen in den Kliniken. Zudem sei der Zeitraum für die Verschiebung von Operationen begrenzt - man rede von einigen Wochen, manchmal bis zu drei Monaten. "Aber schauen Sie sich die Entwicklung an. Wir haben heute Zahlen, die sind höher als im November 2020. Das heißt, seit sechs Monaten hat sich das Gesundheitswesen und alle, die darin arbeiten, nicht mehr beruhigen können und wir schieben teilweise Eingriffe um Monate vor uns her."

Für Patienten, die beispielsweise auf einen orthopädischen Eingriff warten, könne das "nur" ein längeres Leben mit Schmerz oder Bewegungseinschränkungen bedeuten. "Bei anderen Erkrankungen, wo eine Diagnose verzögert gestellt oder eine Behandlung verzögert begonnen wurde, kann es dazu führen, dass sich nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebenszeit verändert", warnte Graf. So seien in Hessen schon "möglicherweise dringliche Herzoperationen" verschoben worden, weil es einen Bettenmangel gab.

Die Deutsche Herzstiftung hatte vor kurzem darauf hingewiesen, dass Beobachtungen zufolge im April 2020 etwa 30 bis 40 Prozent weniger Herzinfarktpatienten im Krankenhaus aufgenommen worden seien als vor der Pandemie. Zudem warteten Patienten gerade während des Lockdowns zu lange, ehe sie einen Arzt aufsuchten - dabei sei gerade bei drohendem Herzinfarkt schnelles Handeln nötig.

Sollte die Zahl der Patienten, die Intensivbetreuung in den Kliniken brauchen, weiter steigen, seien nicht fehlende Beatmungsgeräte oder Intensivbetten das Problem, sagte Graf. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Erfahrung in der Intensivmedizin sei hingegen begrenzt.

Hinzu kämen die Auswirkungen für den Klinikbetrieb insgesamt: "Wenn wir eine weitere Intensivstation mit zehn oder zwölf Betten in Betrieb nehmen wollen, müssen wir dafür acht OP-Säle schließen und zwischen sechs und zehn Normalstationen, um das Personal zu rekrutieren, das wir brauchen", sagte er angesichts des etwa fünfmal höheren Personalbedarfs auf einer Intensivstation. Immerhin: Bisher sei es in Hessen durchgehend gelungen, "die Kränksten der Kranken auf Intensivstationen zu behandeln und nicht in Behelfskrankenhäusern."

© dpa-infocom, dpa:210419-99-262405/3

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