Süddeutsche Zeitung

Chirurgie:Nach der OP: Wer lange liegt, bleibt krank

67 Prozent der Senioren sind nach einem chirurgischen Eingriff dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen. Dabei gibt es Methoden, wie Operierte wieder fit werden.

Von Werner Bartens

Oft beginnt das Elend mit der Operation. Nicht, weil der chirurgische Eingriff schiefgeht, sondern weil es für Patienten schwierig ist, anschließend wieder auf die Beine zu kommen. Besonders für ältere Menschen kann eine Operation bedeuten, dass ihr Alltag nie mehr so sein wird, wie sie es zuvor gewohnt waren, und sie fortan auf fremde Hilfe angewiesen sind. Im Fachmagazin JAMA Surgery (online) vom heutigen Donnerstag zeigen Ärzte aus Chicago, wie oft sich das Leben von Senioren nach einem chirurgischen Eingriff verändert.

Die Chirurgen um Julia Berian haben Daten von mehr als 5000 älteren Menschen analysiert, die sich einer Operation unterziehen mussten. Immerhin 50 Prozent der Patienten zwischen 65 und 74 Jahren büßten durch den Eingriff einen Teil ihrer Unabhängigkeit ein, sei es, dass sie anschließend weniger mobil waren, zusätzliche Hilfe benötigten oder gar in eine Pflegeeinrichtung oder ein Heim ziehen mussten.

Im Alter zwischen 75 und 84 Jahren betraf diese Einschränkung sogar 67 Prozent der Patienten. Jenseits von 85 Jahren waren 84 Prozent der Patienten dauerhaft beeinträchtigt. Der Verlust an Mobilität und Unabhängigkeit war - nach Komplikationen während oder infolge des Eingriffs - der zweithäufigste Grund dafür, dass Patienten erneut in die Klinik eingewiesen werden mussten.

"Um unserer alternden Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, wäre es wichtig, gezielt etwas dagegen zu unternehmen, dass Menschen nach Operationen ihre Unabhängigkeit verlieren und immobil werden", schreiben die Autoren um Berian. "Dazu muss man aber auch analysieren und verstehen, welche Faktoren und Abläufe in der Chirurgie zu schlechten Ergebnissen, wiederholten Einweisungen oder gar Todesfällen führen."

In den letzten Jahren versuchen Ärzte, Pflegepersonal und Physiotherapeuten, Patienten nach Operationen immer früher zu mobilisieren. "Wer liegt, der stirbt", sagt Jürgen Roder, Chef der Chirurgie an den Kreiskliniken Altötting-Burghausen. "Das klingt radikal, aber tatsächlich steigt mit zunehmender Liegedauer das Risiko für Infektionen, Thrombosen und den Abbau von Muskeln und Knochenmasse erheblich. Deswegen stellen wir die Leute noch am OP-Tag wieder auf die Beine. Sie sollen sich schnell wieder daran gewöhnen, zu essen, zu gehen, zu trinken."

Das bedeutet beispielsweise, noch am Tag des Eingriffs Schritte um das Bett zu probieren. Am zweiten Tag kann das Zimmer durchmessen werden, am dritten sind bereits kleine Wege über die Station möglich. "Früher hat man den Patienten kategorisch fünf Tage Bettruhe verordnet und ihnen eine Infusion angehängt", sagt Roder, der auf Bauchchirurgie spezialisiert ist. "Heute gilt das als überholt und bedeutet ein Risiko für manche Patienten, wobei es natürlich immer auf die Art des Eingriffs ankommt."

Werden beispielsweise Patienten an Knie, Hüfte oder Beinen operiert, können sie oftmals nicht sofort aufstehen. Doch auch in diesem Bereich haben verbesserte Prothesen und OP-Techniken dazu beigetragen, dass die Beine zumindest teilweise schon früh belastet werden können. Ein Oberschenkelhalsbruch geht zwar immer noch mit einem erhöhten Risiko einher, das nächste halbe Jahr nicht zu überleben. Doch auch hier zeigen die Erfolge einer frühen Mobilisierung, dass die Fraktur kein Todesurteil sein muss.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2016
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