Prostatakrebs-Studie:"Der deutsche Mann lässt sich nicht gerne für eine Studie rekrutieren"

Operation

Wie sollte man Prostatakrebs im Frühstadium behandeln? Bestrahlen? Oder besser operieren?

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Was tun bei Prostatakrebs im Frühstadium? Eine groß angelegte Untersuchung soll das klären. Doch das Vorhaben droht zu scheitern.

Von Werner Bartens

Die Enttäuschung ist groß, die Irritation auch. Dabei wäre die Studie grundsätzlich sinnvoll, und die Ärzte in Deutschland könnten endlich zeigen, dass auch sie eine große, relevante klinische Untersuchung im Weltklasseformat auf die Beine stellen können. Zumeist kommen solche Studien aus den USA, Kanada oder Großbritannien. Doch nun sind die Ärzte enttäuscht, wie mau die Beteiligung bisher ist. Undankbar, diese Patienten! Da will man ihre Behandlung verbessern - aber sie machen nicht mit.

Doch der Reihe nach. Im Jahr 2013 wurde an verschiedenen deutschen Unikliniken mit einer großen urologischen Untersuchung, der Prefere-Studie, begonnen. Es geht um die Frage, wie Männer am besten zu behandeln sind, bei denen ein Krebs der Prostata gefunden wird. Kein fortgeschrittener Krebs, sondern einer im Frühstadium, der lokal auf die Vorsteherdrüse begrenzt und wenig entartet ist. Niedrig maligne nennen Ärzte das, weil dieser Krebs nur langsam wächst. Gelegentlich kommt er sogar ganz zum Stillstand und bereitet den Männern manchmal gar keine Beschwerden. Und wenn, dann oft erst Jahre später.

Die Urologen wissen nicht genau, wie sie Patienten mit einem solchen Befund optimal behandeln - und ob eine Therapie überhaupt sinnvoll ist. Es ist daher längst an der Zeit, die vier Behandlungsmöglichkeiten im Vergleich zu untersuchen. Soll die Prostata vollständig entfernt werden? Eine solche radikale Prostatektomie beseitigt den Krebs mit großer Wahrscheinlichkeit. Doch bleiben nach dem Eingriff zwischen zehn und 35 Prozent der Männer inkontinent, impotent oder beides. Die Strahlentherapie von außen ist die zweite Option. Sie ist ähnlich zuverlässig, aber auch ähnlich häufig mit Nebenwirkungen verbunden.

Vier Methoden, welche ist die beste? "Jeder Urologe hat seine Vorlieben"

Etwas neuer ist die dritte Methode, die Bestrahlung durch dauerhaft in der Prostata platzierte, kleine Strahlenquellen. Sie wird als Brachytherapie oder Seed Implantation bezeichnet, weil die Metallkügelchen wie kleine Samenkörner aussehen. Die vierte Option ist weniger handgreiflich, sie erfordert vom Urologen vor allem Zurückhaltung: Aktive Überwachung bedeutet, dass regelmäßig ärztliche Kontrollen stattfinden, die Behandlung aber erst einsetzt, wenn die Erkrankung fortschreitet. Vier Methoden, welche ist die beste?

"Jeder Urologe hat seine Vorlieben", sagt Michael Stöckle, Chef der Urologie an der Uniklinik Homburg/Saar. "Was einer gut kann und gut macht, das macht er auch häufiger." Allerdings sollte die optimale Behandlung eines Mannes nicht davon abhängen, was dem Arzt gefällt, sondern was Patienten nutzt. Eine Studie, in der alle vier Optionen miteinander verglichen werden, ist überfällig. Unter Beteiligung der Deutschen Krebshilfe, der gesetzlichen wie der privaten Krankenversicherungen wurde daher 2013 die Prefere-Studie begonnen.

25 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. 7600 Männer sollen untersucht, behandelt und bis zum Jahr 2030 beobachtet werden. Die Rekrutierungsphase ist bis 2017 geplant, knapp 2000 Männer müssen dazu jedes Jahr gewonnen werden. Jetzt, im Januar 2016, sind gerade mal etwas mehr als 300 Probanden beteiligt. Nicht im Monat, nicht im vergangenen Jahr, sondern insgesamt. Ein Debakel? Oder eine Überforderung für Ärzte wie Patienten?

Häufig raten Ärzte dazu, einfach abzuwarten

Urologe Stöckle sagt, "der deutsche Mann lässt sich nicht gerne für eine Studie rekrutieren". Zudem habe es "negative Propaganda" gegeben, vor allem im Internet, wo die Studie kritisiert wurde, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Dass bei guten klinischen Studien Patienten randomisiert werden, also den Behandlungsgruppen per Zufallsprinzip zugeteilt werden, löst bei Laien womöglich Bedenken aus, dass wie bei einer Tombola Lose gezogen werden.

Der Arzt sollte doch wissen, was richtig ist. Und wenn es vier Möglichkeiten gibt, von denen eine Nichtstun bedeutet, kann die Krankheit ja wohl nicht so schlimm sein. Warum sich dann einer Operation oder Bestrahlung unterziehen, mit dem erheblichen Risiko, hinterher impotent und oder inkontinent zu sein? Andere Patienten mögen denken: Ich habe Krebs, da muss man doch sofort etwas tun und kann nicht abwarten oder die Therapieentscheidung auswürfeln.

Was immer in den betroffenen Männern vorgeht - sie beteiligen sich kaum an der Prefere-Studie. Oliver Hakenberg, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie, hat schon mehrmals "das Akzeptanzproblem" der Studie beklagt, und dass "der Zeitplan jetzt wohl kaum mehr zu halten" sei. Michael Stöckle, der Urologe aus Homburg, sagt, dass "der Patient in der Prefere-Studie das Präferenz-Recht hat, zwei Behandlungsmethoden abzuwählen", bevor er randomisiert wird. Doch macht es das wirklich einfacher für einen Patienten, wenn nur noch ausgelost wird, ob er bestrahlt oder operiert wird, ob abgewartet oder interveniert?

Ausnahmsweise raten Ärzte auch mal abzuwarten

"Für keine der vier Möglichkeiten gibt es bisher eine ausreichende Evidenz", sagt Mirjam Renz von der Deutschen Krebsgesellschaft. Wie und ob ein Patient überhaupt behandelt wird, hängt davon ab, an welchen Arzt er gerät. Im Durchschnitt wird bei niedrig-malignem Prostata-Krebs in Deutschland fünfmal so oft operiert wie bestrahlt. Nur in wenigen Kliniken überwiegt die Bestrahlung. Und ausnahmsweise raten die Ärzte auch mal dazu abzuwarten.

Erst in der neuesten Leitlinie der europäischen Urologenvereinigung steht, dass nicht klar sei, welche Option die beste ist und dass dies den Männern "adäquat" zu erklären sei. Doch wie sollen Ärzte Patienten glaubhaft vermitteln, dass Bestrahlung oder Abwarten vielleicht genauso gut hilft wie die Operation, wenn sie selbst jahrelang die Prostata mit dem Skalpell entfernt haben?

Viele Betroffene seien nach der Diagnose eines Prostata-Krebses im Frühstadium nicht angemessen und unvoreingenommen darüber aufgeklärt worden, dass Ärzte nicht wissen, was die beste Therapie ist, klagt die Deutsche Krebshilfe. "Das geht nicht, unter solchen Bedingungen kann eine Studie nicht funktionieren", bemängelt Geschäftsführer Gerd Nettekoven. Wie so oft in der Medizin hapere es an der Kommunikation.

Der Mann entschloss sich, nichts zu tun - und lebte 15 Jahre lang beschwerdefrei

Michael Stöckle erzählt von einem Patienten, der sich im Jahr 2000 mit damals 53 Jahren beim Urologen Blut abnehmen ließ. Der Test auf das Prostata-spezifische Antigen (PSA) ergab erhöhte Werte, die weiteren Untersuchungen sprachen für begrenzten Krebs im Frühstadium. Der Mann entschloss sich, nichts gegen den Tumor zu unternehmen. Im Sommer 2015, der Mann ist inzwischen 68, ging er erneut zum Urologen, der Tumor war etwas weiter fortgeschritten.

"Womöglich bekommt der Patient Metastasen und lebt noch bis 2022 oder 2023", sagt Urologe Stöckle. "Vielleicht hätte er sich doch anders entscheiden sollen." Hätte er das wirklich? So lebte der Mann 15 Jahre weitgehend beschwerdefrei und ohne medizinische Eingriffe. Im Jahr 2022 wird er 75 sein. Hat er durch seine abwartende Haltung Lebensqualität gewonnen oder verloren - wer will das beurteilen? Weil Urologen immer häufiger bei beschwerdefreien Männern einen Bluttest auf PSA machen, steigt die Häufigkeit der Diagnose "Prostatakrebs im Frühstadium" rasant.

1980 wurde in Deutschland bei 22 000 Männern ein Tumor der Vorsteherdrüse festgestellt; inzwischen bekommen 65 000 Männer jedes Jahr die Diagnose, bei den meisten handelt es sich um Frühformen, von denen man ahnt, dass sie oft keiner Therapie bedürfen. Weil die Männer in vielen Fällen nur verunsichert werden, ist der PSA-Test äußerst umstritten und die Krankenkassen erstatten ihn nicht.

"I prefer not to know"

Michael Stöckle, der wissenschaftliche Leiter der Prefere-Studie, glaubt, "dass die vier Therapie-Arme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle gleich gut sind". Doch wie soll in einer Studie unvoreingenommen geprüft werden, was am besten hilft, wenn jeder Urologe schon vorher zu wissen meint, was besser ist und was nicht?

Jürgen Windeler, Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, fühlt sich angesichts der Prefere-Studie an Herman Melvilles literarische Figur Bartleby erinnert, die zu jeder Gelegenheit "I prefer not to" entgegnete. In diesem Fall müsse man ergänzen: I prefer not to know. "Nicht wissen, aber trotzdem handeln und behandeln zu wollen, das geht nicht", sagt Windeler.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: