Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Mangelnde Kontrollen bei Bluttests

  • Bluttests werden in Deutschland nicht so stark überprüft, wie es zum Schutz von Patienten wichtig wäre.
  • Das haben Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergeben.
  • Betroffen sind unter anderem Tests, die dafür verwendet werden, Krebsleiden zu entdecken.

Von Christina Berndt und Stefan Braun, Berlin

Medizinische Bluttests werden in Deutschland nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung nicht so intensiv überprüft, wie dies zum Schutz der Patienten nötig wäre. Das kann dazu führen, dass falsche Diagnosen gestellt werden und die nötigen Therapien ausbleiben. Da es sich bei Bluttests nicht um streng kontrollierte Arzneimittel handelt, sondern um In-vitro-Diagnostika, die rechtlich zu den Medizinprodukten gehören, gelten bis heute bei ihrer Überprüfung laxere Regeln.

In einem speziellen Fall in Berlin, bei dem eine Patientin sich wegen offensichtlich widersprüchlicher Testergebnisse unter anderem an die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung gewandt hatte, erklärte ein Sprecher nach monatelangen Nachfragen, man könne bei den Abläufen keine Fehler der Testhersteller oder Labors erkennen, müsse aber betonen, dass man das Produkt selbst - also den Bluttest - nicht überprüft habe.

Inzwischen sind hohe Ärztefunktionäre alarmiert. Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Hendrik Schulze-Koops, sagte der SZ: "Es gibt viel Schindluder auf diesem Markt." Von manchen Testprodukten, so Schulze-Koops weiter, sei unter Fachleuten bekannt, dass sie nie funktionierten. Auch der Hormon-Experte Martin Reincke von der Universität München, bis Ende 2017 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, sagte: "Das ist ein sehr dunkler Bereich, der viel mehr beleuchtet werden müsste." Die Tests seien "oft nur schmalspurmäßig validiert, entsprechend vage sind ihre Ergebnisse".

Gemeint sind nicht die viel verwendeten Tests auf Blutzucker und Cholesterin, sondern technisch kompliziertere Tests, die winzige Mengen von Eiweißstoffen im Blut messen, wie sie für die Diagnose von manchen Autoimmunkrankheiten, hormonellen Erkrankungen und Krebsleiden wichtig sind. Dabei geht es auch um die Frage, welche Therapien angewandt werden. "Diese Analytik ist von absolut kritischer Relevanz", sagt Reincke. Sie entscheide zum Beispiel darüber, ob ein Tumor von der Nebenniere entfernt werden muss oder ein Kind Wachstumshormone erhält.

Die Recherchen der SZ gehen zurück auf den oben beschriebenen Berliner Fall, bei dem eine Patientin merkwürdigen und falschen Testergebnissen auf den Grund gehen wollte, aber von allen beteiligten Behörden nur zu hören bekam, dass alles in Ordnung sei. Wie sich herausstellte, hatten diese nur die Abläufe überprüft, nicht die einzelnen Bluttests. Außerdem hatten sie sich auf die Selbstkontrollen der Labors und Hersteller verlassen. Dabei übernahm die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit einfach Angaben eines Labors und machte sie sich zu eigen. Sie traute dem Labor mehr als der Patientin, obwohl es erkennbar Probleme bei der Diagnostik gab.

Tests benötigen keine Zulassung

Bluttests benötigen im Gegensatz zu Arzneimitteln keinerlei Zulassung. Hersteller können ihre fertigen Test-Bausätze in der Regel einfach auf den Markt bringen. Nur bei sehr sensiblen Tests - etwa auf HIV oder Hepatitis - müssen sie vorher einen Antrag einreichen. Selbst dann sind aber keine Behörden zuständig, sondern sogenannte Benannte Stellen. Bei diesen Stellen, zu denen auch die TÜV-Prüforganisationen gehören, handelt es sich um privatwirtschaftliche Unternehmen; für sie kommt es auch darauf an, möglichst viele Produkte zu registrieren.

Zwar durchlaufen Bluttests, die auf dem Markt verfügbar sind, regelmäßige Qualitätskontrollen in sogenannten Ringversuchen. Doch auch dabei werden sie nicht im Detail überprüft. Noch dazu akkreditiert die Deutsche Akkreditierungsstelle DAkkS - anders als es EU-Recht fordert - Ringversuchsanbieter, die nicht unbedingt unabhängig sind. Einer der größten im Lande ist das IfQ Lübeck, laut Homepage "eine Einrichtung der Euroimmun AG". Die Firma Euroimmun gehört jedoch zu den bedeutendsten Testherstellern; sie wurde gerade für 1,2 Milliarden Euro vom US-Unternehmen Perkin Elmer übernommen. Einen Interessenkonflikt sehen die DAkkS und Euroimmun trotzdem nicht. Auf Anfrage betont die Euroimmun, das IfQ sei völlig unabhängig.

Auch die Politik schlägt inzwischen Alarm. Hilde Mattheis, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, kritisiert scharf, dass die Test-Hersteller "ihre eigenen Produkte als unbedenklich einstufen können". Das System schaffe zu viele Anreize, "um die Risiken für die Patienten den wirtschaftlichen Interessen der Hersteller unterzuordnen". Und Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, klagt, das Gesundheitsministerium halte seine Hand über die Hersteller und unterstütze die lasche Regulierung auf EU-Ebene.

"Die Qualitätskontrolle ist lückenhaft", sagt Klein-Schmeink. Die Gesundheitsexpertin der Linken, Sylvia Gabelmann, kritisiert vor allem die Rolle der nichtstaatlichen Prüfstellen, die manche Tests begutachten müssen, bevor sie auf den Markt kommen: "Es ist eine Fehlentscheidung, milliardenschwere Wirtschaftsunternehmen damit zu betrauen." Es sei doch offenkundig, dass diese "in den Herstellern der zu prüfenden Produkte auch zahlungskräftige Kunden sehen".

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