Düsseldorf (dpa/lnw) - Menschenleere Fußgängerzonen, geschlossene Flughafenschalter, schon bald Kurzarbeit: Nordrhein-Westfalen kämpft immer stärker mit den Folgen der Corona-Krise. Zugleich bereiten sich landesweit Krankenhäuser auf einen Andrang zahlreicher schwerkranker Patienten vor.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will zusätzliche Plätze schaffen, an denen Patienten beatmet werden können. Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) appellierte am Mittwoch noch einmal eindringlich an die Bevölkerung, bei den Maßnahmen an einem Strang zu ziehen - ansonsten seien auch Ausgangssperren ein Thema.
Landesweit sollten medizinische Rehakliniken rund die Hälfte ihrer Kapazitäten freiräumen, sagte Laumann am Mittwoch in Düsseldorf. Auch diese Kliniken sollten dann für die Versorgung zur Verfügung stehen. Bund und Länder hatten sich auf einen Notfallplan verständigt. Ziel ist eine Verdoppelung der Intensivkapazitäten.
Er werde "alles tun, was geht, um möglichst viele Beatmungsplätze in Nordrhein-Westfalen zu organisieren", sagte Laumann. Durch die Erfahrungen anderer Länder sei bekannt, welche gravierenden Folgen ein Engpass bei der Beatmung habe.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hatte am Morgen vor einem Szenario mit zehn Millionen Coronavirus-Infektionen bis in einigen Monaten in ganz Deutschland gewarnt. Dies könne eintreten, wenn die von der Bundesregierung angeordneten Maßnahmen nicht eingehalten würden, sagte Wieler am Mittwoch in Berlin.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise werden stärker: An den großen Flughäfen in Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Starts und Landungen drastisch eingebrochen. Die Verkehrsleistung in Düsseldorf sei auf 20 Prozent der zu dieser Zeit üblichen Flüge abgesunken, teilte der Airport am Mittwoch mit. Der größte NRW-Flughafen will deshalb ab April Kurzarbeit anmelden. Trotz des starken Nachfragerückgangs bleibe der Flughafen aber geöffnet. In Köln/Bonn gab es im Monat März bislang 30 Prozent weniger Flugbewegungen als im gleichen Monat des Vorjahres.
Der Einzelhandel leidet unter der Schließung zahlreicher Geschäfte wegen des Virus und fordert staatliche Hilfe. In den großen Einkaufsstraßen von Köln und Düsseldorf waren am Mittwoch viel weniger Kunden als sonst zu sehen - trotz Temperaturen von fast 20 Grad. Große Autozulieferer wie Kirchhoff und Hella bereiten wegen der Werksschließungen großer Hersteller Kurzarbeit vor.
In NRW ist das Virus trotz aller Maßnahmen zur Eindämmung auf dem Vormarsch: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums stieg die Zahl der nachgewiesenen Fälle von knapp 3380 am Vortag auf knapp 4300 am Mittwoch (Stand: 16.00 Uhr) sprunghaft an. Die Zahl der landesweit gemeldeten Todesfälle stieg demnach um ein Opfer auf 13.
Die Gegenmaßnahmen wie verbotene Spielplätze, Restaurants im Kurzbetrieb, endgültig geschlossene Schulen und viele geschlossene Geschäfte schneiden dabei seit Mittwoch tief in den Alltag der Menschen ein - und nicht alle sehen das ein.
Der stellvertretende Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) warnte die Menschen in NRW eindringlich vor sogenannten Corona-Partys und anderen "Zusammenrottungen". Sollten sich die Menschen nicht daran halten, drohten "drastischere Maßnahmen", sagte er. Immer noch gebe es etwa auch auf den Rheinwiesen Ansammlungen von Menschen, "die sich die Bierflaschen teilen". Auch Ausgangssperren wollte Stamp nicht ausschließen. Diese müssten aber koordiniert mit allen Ländern beschlossen werden.
"Wir bleiben für euch da! Und ihr bitte zu Hause!" Mit diesem eindringlichen Appell richten sich auch immer mehr Krankenhaus-Mitarbeiter im Internet an die Bevölkerung: Die Menschen sollen zu Hause bleiben! Auch an der Uniklinik Essen fotografierte sich das Team der Zentralen Notaufnahme mit einem entsprechenden Spruchband. Der Beitrag verteilte sich am Mittwoch rasant in den sozialen Medien.
Am Dortmunder Phönixsee kontrollierte ein Großaufgebot des Ordnungsamtes, ob sich die Cafe- und Gaststättenbetreiber an die Auflagen halten. Laut Auflagen des Landes dürfen Restaurants nur noch bis 15 Uhr am Tag öffnen, um die Ansteckungsgefahr einzudämmen. Nach Beobachtung eines dpa-Reporters sprachen die Mitarbeiter die Betreiber gezielt an, die sich nicht an die Schließzeiten gehalten hatten.
Anders als in Bayern sollen die Abiturprüfungen in Nordrhein-Westfalen zunächst nicht wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Das Schulministerium sei aber auch auf eine etwaige Verschiebung vorbereitet, sagte Ministerin Yvonne Gebauer (FDP). Ziel sei, "allen ein faires Abitur anzubieten" und Klarheit zu schaffen über das Wann und Wie.
Die Umstellung des Schulbetriebs wegen der Corona-Pandemie ist aus ihrer Sicht reibungslos angelaufen. Die Notbetreuung an den Grundschulen sei aber kaum in Anspruch genommen worden. In allen Schulen werden Notfallplätze für Schüler bereitgestellt, deren Eltern in kritischen Infrastrukturen arbeiten - etwa Gesundheit, Verkehr, Energie oder in der staatlichen Verwaltung.
Auch Verkäufer und Kassierer in Supermärkten gehörten dazu und hätten grundsätzlich Anspruch auf einen Betreuungsnotplatz, betonte Stamp. "Die sind für uns im Moment absolut systemrelevant." Ob Eltern Kita-Beiträge zurückbekommen, darüber will die Landesregierung noch nachdenken, wie Stamp sagte.
Während sich viele Krankenhäuser und Arztpraxen um ausreichendes Schutzmaterial sorgen, haben wieder einmal Kriminelle zugeschlagen: Aus einem Krankenhaus in Hamm stahlen sie nach Polizeiangaben Hunderte OP- und Atemschutzmasken und jede Menge Desinfektionsmittel. Schon vor zwei Tagen hatten Kriminelle 50 000 Atemschutzmasken in den Kölner Kliniken gestohlen.
In der beschwerten Zeit zeigen andere ihr solidarisches Gesicht: Am Dienstagabend brandete um 21 Uhr in Köln vielerorts Applaus auf. Viele Menschen standen auf Balkonen, an offenen Fenstern und in Gärten und folgten mit dem Klatschen einem Aufruf in den sozialen Netzwerken zu einer Solidaritätsaktion. "Nun heißt es Zusammenhalt und Anerkennung zeigen!", stand dort. "Kommt heute Abend alle an eure Fenster und auf eure Balkone und applaudiert für die Menschen, die derzeit immer noch für uns und die Gesellschaft arbeiten."