Süddeutsche Zeitung

Krankenhäuser:Die Qual mit der Qualität

Die Qualität von Krankenhäusern lässt sich nur schwer messen: Warum selbst häufige Patientenbeschwerden und Strafzahlungen nicht automatisch bedeuten, dass die Klinik schlecht arbeitet.

Von Werner Bartens

Meistens ist das Essen das wichtigste. Oder die Größe des Zimmers und mit wie vielen anderen man es teilen muss. Das Modell des Fernsehapparats spielt auch eine Rolle. Werden Patienten zur Qualität eines Krankenhauses befragt, tauchen diese Faktoren häufig als erste auf. Woher sollen die Kranken auch wissen, wie gut die medizinische Versorgung in der Klinik ist, die sie aufsuchen müssen? Leiden sie nicht an Komplikationen und holen sich keine Infektion, ist es für Patienten schwer zu beurteilen, wie gut Hygienestandards eingehalten werden und ob die Operationsergebnisse sowie andere Therapieverläufe einem hohen Niveau entsprechen.

Dass die Qualität eines Krankenhauses nicht leicht zu erfassen ist, beschreiben nun Forscher aus Chicago. Im Fachmagazin JAMA vom heutigen Mittwoch zeigen sie, dass Beschwerden und sogar finanzielle Strafen für die Klinik kein schlechtes Zeichen sein müssen - im Gegenteil.

Das Ärzteteam um Karl Bilimoria hat fast 3300 Krankenhäuser unter die Lupe genommen, die besonders die kranken, behinderten und einkommensschwachen Amerikaner versorgen, die über die Hilfsfonds Medicare und Medicaid betreut werden. Seit 2014 gibt es ein Programm, wonach jene Kliniken weniger Geld bekommen, die in bestimmten Kategorien schlecht abschneiden und in denen beispielsweise Infektionen bei Patienten mit Blasenkatheter häufiger vorkommen.

Krankenhausinfektionen und eine hohe Komplikationsrate nach chirurgischen Eingriffen können in der Tat dafür sprechen, dass in der Klinik schlecht gearbeitet wird. In der aktuellen Untersuchung zeigte sich, dass 22 Prozent der Krankenhäuser nach den vorgegebenen Kriterien nicht gut abschnitten.

Jenen 721 Kliniken war allerdings gemeinsam, dass sie häufiger Patienten mit schwierigen Erkrankungen und andere komplexe Fälle versorgten, aufwendige Spezialabteilungen hatten und ihre schlechtere Bilanz vermutlich daher rührte. Zudem waren unter den vermeintlich schlechteren Krankenhäusern vermehrt Ausbildungskrankenhäuser, die sich um die Lehre bemühten und deshalb Fehlern akribisch nachgingen.

In manchen vermeintlich besseren Kliniken wurde schlicht nicht dokumentiert, was schlecht lief

Manchmal wurde in den vermeintlich besseren Kliniken schlicht nicht ausreichend dokumentiert, was schlecht lief. "Die paradoxen Ergebnisse unserer Untersuchung machen eine genauere Analyse erforderlich", sagt Bilimoria. "Manche Krankenhäuser erfassen sehr genau Nebenwirkungen, Komplikationen und andere Fehler. Wenn sie dann schlechter abschneiden als solche mit einer schlampigen Fehlerkontrolle, ist das nicht korrekt."

Im deutschen Gesundheitswesen scheitern vielversprechende Ideen oft an den unterschiedlichen Vorstellungen über das, was gute Medizin ausmacht. "Das Ziel ,gute Qualität' reicht nicht aus, jeder versteht darunter etwas anderes", schreibt Matthias Schrappe in seinem Buch "Qualität 2030 - die umfassende Strategie für das Gesundheitswesen" (MWV-Verlag, 2015). In Deutschland müsse künftig mehr auf Güte statt auf Menge geachtet werden, so der Gesundheitsexperte.

Zudem sollte die Versorgung älterer Menschen mit mehreren chronischen Leiden stärker berücksichtigt werden - hiesige Qualitätskriterien setzen immer noch zu sehr den Schwerpunkt auf akute Krankheiten, auch wenn diese nicht den Großteil der medizinischen Versorgung ausmachen. Zudem werde in der Diskussion über medizinische Qualität zu wenig die Perspektive der Patienten berücksichtigt. Und für die ist - neben Essen und Zimmergröße - manchmal auch wichtig, wie gut sich das Klinikteam um die Versorgung nach der Entlassung kümmert.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2015
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