Infektionskrankheiten:Das Zika-Paradox

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Zika ist für die WHO kein globaler Notfall mehr - auch, weil das Virus außerhalb Brasiliens kaum Spuren hinterließ. Die Gründe für diese Entwicklung kennt niemand.

Von Berit Uhlmann

Die Entscheidungen fielen auf den gleichen Tag: Wenige Stunden nachdem Brasilien verkündet hatte, dass das Zikavirus weiterhin einen nationalen Notstand darstelle, hob die Weltgesundheitsorganisation WHO am Wochenende den Notfall auf globaler Ebene auf. Dabei sind noch immer viele Fragen offen. Darunter auch: War die Zikakrise überhaupt ein weltweites Problem oder lediglich eines Brasiliens?

In dem südamerikanischen Land wurden seit 2015 etwa 2100 Babys mit jenen Fehlbildungen des Nervensystems geboren, die wahrscheinlich auf eine Zika-Infektion zurückgehen. In allen anderen Staaten der Region wurden weit weniger Kinder mit Hirnanomalien registriert, obwohl sich auch dort viele Schwangere mit Zika infiziert hatten: 57 Neugeborene sind es bislang in Kolumbien, 31 in den USA, anderswo sind es noch weniger. Warum es diese Unterschiede gibt, weiß bislang niemand.

Virus
:WHO hebt Zika-Notstand auf

Die Ausbreitung des Virus sei allerdings immer noch ein schwerwiegendes Problem, erklärt die Weltgesundheitsorganisation.

Als wahrscheinlichste Erklärung gilt, dass es neben Zika in Brasilien noch einen weiteren, bisher unbekannten Faktor geben muss, auf den die vielen Fehlbildungen zurückzuführen sind. Als potenzielle Verdächtige gelten andere Viren, Impfungen gegen verwandte Erreger, eine genetische Veranlagung oder Umwelteinflüsse; doch dingfest konnte bislang keiner von ihnen gemacht werden.

Möglicherweise haben sich in anderen Ländern mehr Frauen für eine Abtreibung entschieden

Der Bonner Virologe Jan Felix Drexler glaubt, dass Armut und eine unzureichende Gesundheitsversorgung ein solcher Co-Faktor sein könnten. Dazu passt, dass sich die Fehlbildungen vor allem im armen Nordosten Brasiliens häuften. Über welchen Mechanismus die schlechten Lebensbedingungen das Wüten des Zikavirus begünstigen, ist allerdings nicht klar. Mitverantwortlich für die Diskrepanzen dürften auch statistische Verzerrungen sein - "wenngleich sie alleine die Unterschiede nicht erklären können", sagt Drexler.

Aus Kolumbien gab es Berichte, wonach Totgeburten von Müttern, die sich mit Zika infiziert hatten nicht mitgezählt wurden. Diskutiert wird auch, dass die Zahl der Zikababys außerhalb Brasiliens deshalb niedriger ist, weil möglicherweise mehr werdenden Mütter abgetrieben haben, als die Gefahr erst einmal bekannt war. Die Non-Profit-Organisation Women on Web hatte kürzlich gemeldet, dass die Bestellungen von Abtreibungspillen in den Zikaländern um 36 bis 100 Prozent zugenommen hatten. Andere Wege, Schwangerschaften zu beenden, wurden nicht erfasst.

Dass der globale Notfall aufgehoben wurde, bedeutet nicht, dass es vorbei ist

Je mehr Mediziner über die Auswirkungen des Zikavirus herausfanden, desto vielschichtiger wurde das Bild. Unter anderem zeigte sich, dass die winzigen Köpfe der Babys nicht das einzige Zeichen einer Schädigung sind. Brasilianische Mediziner stellten fest, dass auf vier Kinder mit Mikrozephalie ein Baby kommt, dass mit normal großem Kopf geboren wird, aber dennoch die typischen Hirnanomalien aufweist: verringertes Volumen, Verkalkungen oder Fehlbildungen der Hirnrinde. Wie sich diese Kinder entwickeln werden und wie man ihnen am besten helfen kann, gehört ebenfalls zu den ungelösten Fragen.

Ist es in dieser unklaren Situation gerechtfertigt, den globalen Notstand aufzuheben? Daniela Huzly, Virologin der Universität Freiburg nennt die WHO-Entscheidung angesichts der geringen Fallzahlen außerhalb Brasiliens "nachvollziehbar". Auch Drexler hält den Entschluss für gerechtfertigt. Die Ausrufung des Notstandes habe den Grundstein für die langfristige Erforschung gelegt, die jetzt erst beginne. "Die WHO hat ja nicht gesagt, Zika ist vorbei". Würde diese Botschaft in der Öffentlichkeit ankommen, wäre es allerdings ein fatales Zeichen.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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