Langlebig, widerstandsfähig und universell einsetzbar, diese Eigenschaften zählen zu den vielen Vorteilen von organischen Fluorverbindungen. Deshalb sind sie so verbreitet - und deshalb sind sie auch so ein großes Problem. Denn einige dieser Chemikalien können Krebs auslösen, ungeborenen Kindern schaden oder das Immunsystem stören.
Per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz PFC, sind Molekülketten aus Kohlenstoff und Fluor. Stabil gegenüber chemischen Einflüssen und UV-Strahlung, hitzebeständig und gleitfähig senken sie zum Beispiel den Reibungswiderstand von Bauteilen und Industriemaschinen. Dank ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften stecken sie auch in vielen verbrauchernahen Produkten, etwa in der Beschichtung von Lebensmittelverpackungen, Kochgeschirr oder regendichter Outdoor-Kleidung.
So erwünscht die Fähigkeiten der PFC sind, so problematisch sind sie in der Umwelt. Mikroorganismen können sie nicht abbauen, sie zerfallen auch nicht unter dem Einfluss von Sonne, Wind und Wasser. Einmal freigelassen, verschwinden sie nie wieder. Fluorcarbone verbreiten sich weltweit und gelangen in Nahrung und Trinkwasser. "Die Grundbelastung ist so hoch, dass sich PFC im Körper anreichern", sagt Hermann Fromme vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit, der die Blutbelastung der bayerischen Bevölkerung untersucht hat.
Schon geringe Konzentrationen PFC im Blut beeinträchtigen das Immunsystem
Um einer drohenden Vergiftung vorzubeugen, müssten die Grenzwerte verschärft werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht bei einigen PFC Handlungsbedarf. "Wir haben die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Efsa, Ende 2015 um eine Aktualisierung gebeten sowie um eine Ausweitung auf andere Verbindungen", sagt BfR-Lebensmittelexpertin Ulrike Pabel. Die Substanzen würden vor allem mit der Nahrung aufgenommen. "Selbst bei geringer Exposition reichern sie sich im Körper an", sagt Pabel.
Im Fokus stehen vor allem zwei Leitsubstanzen: Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA). Für diese legte die Efsa bereits 2008 Aufnahmemengen fest: Bis zu 1,5 Mikrogramm PFOA pro Kilogramm Körpergewicht seien demnach täglich tolerierbar, ohne dass ein Gesundheitsrisiko zu erwarten ist, bei den PFOS sind es 0,15 Mikrogramm. Laut BfR werden diese Werte bei in Deutschland üblicher Ernährungsweise kaum erreicht. Sie gelten vielen Experten inzwischen allerdings als zu hoch.
Die Festlegung der höchsten tolerierbaren täglichen Aufnahmemengen basiert auf Daten aus Tierversuchen - wie fast immer, wenn toxikologische Grenzwerte vereinbart werden. Während aber Ratten PFOS innerhalb von einem Monat, PFOA nach wenigen Tagen ausscheiden, können die Substanzen im menschlichen Organismus viele Jahre bleiben und mitunter einigen Schaden anrichten. Zwischen 2005 und 2013 hatten amerikanische Forscher die Blutwerte von 69 000 Menschen untersucht, von denen die meisten PFOA-belastetes Wasser getrunken hatten.
Hinweise auf Störungen des Fettstoffwechsels und des Hormonhaushalts
Das "C8 Science Panel" kam zu dem Schluss, dass erhöhte PFOA-Gehalte im Blut sehr wahrscheinlich mit verschiedenen Erkrankungen einhergehen. Aus weiteren Studien hätten sich Hinweise auf Störungen des Fettstoffwechsels, des Immunsystems und des Hormonhaushalts ergeben, sagt der Epidemiologe Michael Schümann, Mitglied der Humanbiomonitoring-Kommission des Umweltbundesamts. Wie es zu den einzelnen Effekten komme, sei noch nicht klar.
Inzwischen habe sich gezeigt, dass bereits sehr geringe PFC-Mengen im Blut Wirkung hätten, erklärt Schümann. Effekte auf das Immunsystem zeigen sich bereits ab ein bis zwei Nanogramm PFOS pro Milliliter Blut. Die durchschnittliche PFOS-Belastung liege bei circa fünf Nanogramm. Die bisherigen täglichen Höchstmengen seien nicht mehr haltbar: "Sie sollten um den Faktor 100 bis 1000 gesenkt werden."
Bisher ist allerdings überhaupt erst eine Leitsubstanz reguliert: 2009 wurde PFOS als persistenter organischer Schadstoff nach der Stockholm-Konvention gelistet. Auf Druck der amerikanischen Umweltbehörde EPA begann der weltweit größte Hersteller von PFC, das amerikanische Unternehmen 3M, im Jahr 2002 mit dem Ausstieg aus der PFOS-Produktion. "Gleichzeitig mit dem Ausstieg der Amerikaner starteten die Chinesen ihre PFOS-Produktion", sagt Roland Weber, der als Experte für organische Schadstoffe vor allem UN-Organisationen berät.
Selbst wenn die Produktion weltweit eingestellt würde, würden die Altlasten in Böden und Gewässern noch immer für gewaltige Probleme sorgen. "Viele Flughäfen und andere Areale sind betroffen", sagt Weber, etwa durch frühere Löscheinsätze und Übungen, als die PFOS-Menge in Löschmitteln noch nicht auf die heutigen 0,001 Prozent begrenzt war. "Auch an Raffinerien und Standorten chemischer Industrie finden sich häufig PFOS-bedingte Kontaminationen." In Oberflächengewässern gilt eine Belastung mit 0,65 Nanogramm PFOS pro Liter als unbedenklich. Im Rhein finden sich laut Weber fünf bis zehn Nanogramm. Neben industriellen Einleitungen seien auch alte Deponien, aus denen die Substanzen kontinuierlich ausgewaschen werden, eine mögliche Quelle.
Auch aus Haushalten gelangen PFC mit dem Abwasser in die Umwelt, denn diese stecken in vielen Produkten. PFOA etwa dient nicht nur als Hilfsmittel zur Herstellung von Teflon, es findet sich auch in Textilien, Teppichen, Möbeln, Papier, Verpackungen, Farben, Reinigungsmitteln, Imprägniersprays, Pflanzenschutzmitteln und Feuerlöschern. Bisher hat nur Norwegen einen Grenzwert für diese Substanz festgesetzt. 2014 schlugen Norwegen und Deutschland bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein Herstellungs- und Verwendungsverbot für PFOA vor. Der Antrag sieht für Produkte einen besonders strengen Grenzwert von zwei Mikrogramm pro Kilogramm vor, welcher nahe der Nachweisgrenze liegt.
Dagegen wehrte sich die Industrie. Nicht möglich, klagten etwa die Hersteller von Löschmitteln. Vertreter der Textilindustrie gaben zu bedenken, dass sogar das für die Produktion genutzte Wasser manchmal stärker belastet sei. Der wissenschaftliche Ausschuss der ECHA entschärfte den vorgeschlagenen Grenzwert schließlich: Nun sollen 25 Mikrogramm PFOA pro Kilogramm Produkt erlaubt sein. Diese Werte halten Kritiker für zu lax. "Wir glauben, dass damit die absichtliche Verwendung in Verbraucherprodukten nicht verhindert werden kann", sagt Annegret Biegel-Engler vom Umweltbundesamt (UBA). Das gelte insbesondere für Importe aus Fernost.
In Innenräumen ist die Belastung oft deutlich höher als im Freien
Ein Großteil des PFOA kommt bei eher verzichtbaren Anwendungen zum Einsatz: Chemische Beschichtungen sollen Heimtextilien, Teppiche und Polstermöbel vor Wasser und Schmutz schützen. Damit sind sie aber auch eine potenzielle Quelle für PFC in Innenräumen, wo die Belastung oft höher ist als im Freien. Das UBA empfiehlt daher, vor dem Kauf genau zu überlegen, ob eine Beschichtung auf PFC-Basis wirklich nötig ist. Diese Frage sollten sich Verbraucher auch bei regendichter Outdoorkleidung stellen, die oft den Einsatz umweltschädlicher Fluorchemie erfordert.
Statt langkettiger Fluorchemikalien wie PFOA greift die Industrie in Europa inzwischen auf kurzkettige Verbindungen zurück. Doch über diese Stoffe gebe es bislang kaum Daten, sagt Hermann Fromme vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit. Sie sind nicht so extrem langlebig wie die größeren Verbindungen, aber noch mobiler. Damit könnten sie "leichter ins Trinkwasser gelangen", sagt UBA-Expertin Biegel-Engler. "Wir wissen noch nicht genau, wo wir mit diesen Stoffen rechnen müssen", sagt Ulrike Pabel vom BfR. Es gebe Hinweise darauf, dass pflanzliche Lebensmittel bei kurzkettigen PFC eher betroffen sind. "Über Toxikologie und Epidemiologie wissen wir fast nichts", sagt Michael Schümann.