Gesundheit - Berlin:Rot-Rot-Grün uneins beim Thema Ausgangssperre

Berlin
Dilek Kalayci (SPD), Senatorin für Gesundheit, spricht während einer Pressekonferenz. Foto: Annette Riedl/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Braucht Berlin eine Ausgangssperre oder verhalten sich die Hauptstädter vernünftig genug, damit das nicht nötig ist? Die Antworten auf solche drängenden Fragen angesichts der steigenden Zahl der Infizierten mit dem neuartigen Coronavirus und des ersten Todesfalls in Berlin fallen sehr unterschiedlich aus. Und das sogar innerhalb des rot-rot-grünen Senats. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat in den vergangenen Tagen immer wieder erklärt, dass er sich für Ausgangssperren nicht begeistern kann, sie aber auch nicht ausschließen will.

Währenddessen hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Freitag weitreichende Ausgangsbeschränkungen angekündigt, die ab Samstag gelten sollen. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist dort dann nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich am Sonntagabend mit den Ministerpräsidenten der Länder in einer Telefonkonferenz beraten. Dabei dürfte es auch ums Thema Ausgangssperren gehen.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ist dafür, hat sich mit ihrer Position in der Sondersitzung des Senats am Donnerstagabend aber nicht durchsetzen können. Die Diskussion über das Thema wurde nach Angaben von Teilnehmern ausgesprochen emotional geführt.

"Senatorin Kalayci hat dem Senat eine Ausgangssperre empfohlen, die abgelehnt wurde", teilte ihre Sprecherin am Freitag mit. Die Linke in Berlin sieht Ausgangssperren ausgesprochen kritisch: "Jedes andere Mittel muss erst ausgeschöpft sein", sagte Landesvorsitzende Katina Schubert der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Eine Ausgangssperre bedeute keine verlängerten Schulferien. "Wir sperren dann Leute ein."

Die Berliner SPD-Fraktion hat sich in der Diskussion gegen Tabus ausgesprochen: "Die Situation ist so ernst, dass kein Instrument tabu ist", teilte Fraktionsvorsitzender Raed Saleh am Freitagabend mit. Es gehe nicht um politische Befindlichkeiten, sondern um die Gesundheit der Bevölkerung. "Es geht um Leben und Tod. Von der italienischen Krankenschwester bis zum italienischen Ministerpräsidenten hören wir, bitte macht nicht unsere Fehler. Das müssen wir ernst nehmen."

Die schnelle Ausbreitung des Virus in Deutschland und speziell auch in Berlin zeige, dass Eile geboten sei, sagte Saleh. "Spätestens wenn die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin am Wochenende zu dem Schluss kommen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, dann müssen wir in Berlin diese unverzüglich umsetzen."

Linke und Grüne sehen vor allem die sozialen Folgen, wenn nicht zuletzt Kinder wochenlang die Wohnung nicht mehr verlassen dürften. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte auf Nachfrage, der Senat habe bereits deutliche Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens ergriffen und werde dafür sorgen, dass diese Regeln auch durchgesetzt würden.

"Es geht um Gesundheitsschutz, aber auch um Freiheitsrechte und soziale Folgen", so die Senatorin. "Eine Rutschbahn zu immer drastischeren Maßnahmen kann es in einer aufgeklärten Demokratie nicht geben". Pop steht Ausgangssperren ebenfalls kritisch gegenüber. "Wer jetzt nur an sich denkt und Regeln missachtet, provoziert einschneidende Maßnahmen. Ich appelliere deswegen an die Vernunft, sich solidarisch zu verhalten und enge Kontakte zu vermeiden."

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) erklärte am Freitag, im Senat bestehe Einigkeit, dass gemeinsam mit dem Bund und den anderen Ländern jederzeit überprüft werden müsse, ob weitere Maßnahmen erforderlich seien.

Schubert sprach sich dafür aus, dass Berlin unabhängig von den in anderen Ländern getroffenen Maßnahmen entscheiden solle: "Die Situation in Berlin ist eine andere als im Schwarzwald, das ist nicht vergleichbar", sagte die Linke-Vorsitzende. "Wenn wir 3,7 Millionen Menschen einsperren, ist das ein großer Eingriff." Es dürfe nicht entscheidend sein, wie eine Mehrheit der Ministerpräsidenten das bewerte. "Wir müssen für Berlin entscheiden, was das Richtige ist."

Auch der Regierende Bürgermeister sagte am Freitagmorgen im rbb-Inforadio, eine Ausgangssperre sei "kein Allheilmittel". "Ich appelliere immer noch sehr an die Vernunft jedes Einzelnen, jetzt mit zu helfen. Es geht um unser aller Gesundheit", sagte Müller. "Viele haben begriffen, worum es jetzt geht, dass man Kontakte so weit wie möglich vermeidet." Es gebe aber immer noch Menschen, "die eng zusammenstehen, feiern, die zu Corona-Partys einladen".

Der CDU-Landesvorsitzende, Kai Wegner, forderte, eine Ausgangssperre in Berlin dürfe im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus kein Tabu sein. "Wir müssen heute Freiheiten einschränken, um morgen Leben zu retten." FDP-Fraktionsvorsitzender Sebastian Czaja kritisiert den Senat: "Berlin verhält sich viel zu zögerlich, das muss der Regierende Bürgermeister endlich anerkennen", sagte er. "Auf weitere Entscheidung auf Bundesebene zu warten und damit ein weiteres Wochenende mit vollen Parks, Cafés und Coronapartys zu riskieren, wäre falsch."

Auch aus Sicht von Berlins AfD-Fraktionschef Georg Pazderski geht es nicht ohne Ausgangssperre, sollten die Menschen die notwendigen Maßnahmen missachten. "Eine solche Entscheidung ist jedoch sehr schwerwiegend und muss gut durchdacht werden." Dabei sei es sinnvoll, regionale Entwicklungen zu berücksichtigen. Noch hat sich der Senat nicht für eine Ausgangssperre entschieden - und das dürfte angesichts der schwer zu vereinbarenden Positionen bei Rot-Rot-Grün auch nicht einfach sein. Aber der Druck nimmt zu.

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