Gesundheit - Berlin:Dramatischer Einbruch bei Steuereinnahmen

Berlin
Matthias Kollatz (SPD), Finanzsenator von Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Die goldenen Zeiten sind erst mal vorbei: Nach vielen Jahren stetigen Wachstums und ohne Schulden brechen Berlins Steuereinnahmen infolge der Corona-Krise dramatisch ein. In diesem Jahr fließen voraussichtlich 3,05 Milliarden Euro weniger Steuern in die Kasse als erwartet - das ist ein Zehntel aller im Haushalt verplanten Einnahmen. Im kommenden Jahr sind es 1,65 Milliarden Euro weniger. Das ergibt sich aus der jüngsten Steuerschätzung, wie Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Freitag mitteilte.

Über den Zeitraum 2020 bis 2023 summieren sich die Einnahmeausfälle gegenüber den bisherigen Planungen auf 8,35 Milliarden Euro. "Damit findet wie in der Finanzkrise 2008/2009 eine dauerhafte Absenkung des Wachstumspfades statt", erklärte Kollatz. Angesichts der Einbrüche seien neue Schulden unvermeidbar. Vor einigen Wochen hatte Kollatz eine Größenordnung von fünf Milliarden Euro genannt.

Klar sei auch, dass keinerlei Spielräume für zusätzliche Ausgaben vorhanden seien, so der Senator. "Stattdessen sind alle Positionen des Haushalts daraufhin zu überprüfen, wo sich Abweichungen und insbesondere Verzögerungen ergeben." Er regt also an zu prüfen, ob Vorhaben in unterschiedlichen Bereichen zeitlich gestreckt oder Gelder, die wegen Verzögerungen etwa bei Bauprojekten momentan nicht ausgegeben werden, anderweitig eingesetzt werden können.

Und aus seiner Sicht könnte alles noch schlimmer kommen: Im weiteren Pandemieverlauf könne eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage nicht ausgeschlossen werden.

Die Corona-Krise reißt ein riesiges Loch in alle Staatskassen. Erstmals seit der Finanzkrise sinken die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Die Steuerschätzer rechnen damit, dass in diesem Jahr 81,5 Milliarden Euro weniger Steuern reinkommen als 2019 - ein Minus von mehr als zehn Prozent. Bund, Länder und Kommunen müssen daher mit 98,6 Milliarden Euro weniger auskommen als noch im November vorhergesagt - und bereits in den Haushalten verplant.

Berlin hat seit acht Jahren keine Kredite mehr aufgenommen und die Schuldenlast schrittweise auf den - im Bundesvergleich immer noch hohen - Wert von 57 Milliarden Euro zurückgeführt. Das wird nun zunichte gemacht. Ein Anstieg um fünf Milliarden auf 62 Milliarden Euro würde bedeuten, dass der einstige Rekordwert von 62,9 Milliarden Euro Schulden fast wieder erreicht wäre. Dank Schuldenbremse dürfen die Länder eigentlich gar keine neue Kredite mehr aufnehmen. Es gibt aber Ausnahmetatbestände, die in der Corona-Krise nun greifen.

In einem ersten Nachtragshaushalt für 2020, den das Abgeordnetenhaus in zwei Wochen beschließen will, sind bereits pandemiebedingte Mehrausgaben von drei Milliarden Euro vorgesehen. Voraussichtlich im Juni soll es dann einen zweiten Nachtragsetat geben, der die Ergebnisse der Steuerschätzung und die neuen Schulden berücksichtigt.

Im Abgeordnetenhaus besteht fraktionsübergreifend Einigkeit, dass neuen Schulden unausweichlich sind, um die Einnahmeausfälle für die kommenden zwei Jahre zu finanzieren. Die Frage allerdings, wo und in welchem Umfang gespart werden kann, ist noch nicht beantwortet.

"Für uns Berliner Grüne ist klar: Die Kosten der Corona-Krise sind nur durch eine Kreditfinanzierung mit langen Tilgungszeiträumen über 20 oder mehr Jahre zu stemmen", sagte Fraktionsgeschäftsführer Daniel Wesener der Deutschen Presse-Agentur. "Einer Wiederauflage der "Sparen bis es quietscht"-Politik der Vergangenheit erteilen wir eine klare Absage."

Ähnlich sieht das Linke-Haushaltsexperte Steffen Zillich. Er plädierte dafür, zusätzlich zu Konjunkturprogrammen von EU und Bund eigene Landesprogramme aufzulegen, um der kleinteiligen Struktur der Berliner Wirtschaft gerecht zu werden. "Diese darf uns nicht wegbrechen."

Aus Sicht der FDP-Fraktion müssen Schulden so eingesetzt werden, dass die Wirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze gesichert werden. Keine Abstriche dürfe es bei Investitionen etwa in Infrastruktur, Schulen oder Feuerwachen geben. Mit "ideologisch geprägten Projekten" wie teuren Wohnungsankäufen müsse dagegen Schluss sein. Die geplante Prämie für Corona-Alltagshelden gehöre ebenfalls auf den Prüfstand. Einen Verzicht darauf fordert auch der Bund der Steuerzahler, wie Landeschef Alexander Kraus dem 105‘5 Spreeradio sagte.

Die AfD-Finanzpolitikerin Kristin Brinker warnte vor "exzessiver Neuverschuldung" und hält eine maximale Neuverschuldung von drei Milliarden Euro für verantwortbar. "Überteuerte Ideologieprojekte müssen vollständig auf den Prüfstand gestellt werden." Sie nannte den Kauf von E-Bussen, die Subventionierung von ÖPNV-Tickets für Beamte oder "Kosten der ungesteuerten Armutszuwanderung". CDU-Fraktionschef Burkard Dregger forderte einen Kassensturz, um alle konsumtiven Aufgaben zu überprüfen.

Auch Sicht der Industrie- und Handelskammer Berlin muss Geld dort investiert werden, wo es konjunkturfördernd und zukunftssichernd wirken kann, etwa in Infrastruktur, Digitalisierung oder Klimaschutz. "Denn nur eine revitalisierte Wirtschaft wird den Handlungsspielraum für die Politik durch steigende Steuereinnahmen wieder vergrößern", so IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.

Dis SPD-Fraktion äußerte sich nicht zu den neuen Zahlen. Grund: "Sie wurde vom Finanzsenator Dr. Kollatz nicht in Kenntnis gesetzt", sagte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Torsten Schneider.

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