Süddeutsche Zeitung

Gesunde Ernährung:Das Geheimnis des Vollkornbrots

Ballaststoffe können vielen Studien zufolge Volkskrankheiten - von Übergewicht bis Krebs - vorbeugen. Allerdings ist noch immer umstritten, ob sie ihre Wirkung auch als Zusatz in anderen Lebensmitteln entfalten.

Kathrin Burger

Vollkornbrot und Frischkornbrei hielten Ernährungswissenschaftler jahrelang für unverdaulichen und verzichtbaren Ballast. Und so hießen ihre Inhaltsstoffe dann auch: Schon der Name drückte eine gewisse Verachtung aus. Nur Gesundheitsapostel widersprachen, und inzwischen ist aus ihren Lehren ein breiter Konsens erwachsen.

Einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zufolge haben Ballaststoffe das Potenzial, die Entstehung diverser Volkskrankheiten zu beeinflussen. Sie helfen wahrscheinlich gegen Fettleibigkeit bei Erwachsenen, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Vermutlich senken Ballaststoffe aus Getreide auch das Risiko für Diabetes und Dickdarmkrebs, nicht jedoch solche aus Obst und Gemüse. Seit Kurzem dürfen sich auch Hafer- und Gersteprodukte europaweit mit der Aussagen schmücken: "Tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei".

Lebensverlängernde Wirkung

Summa summarum wirkt ein hoher Ballaststoffanteil in der Nahrung offensichtlich auch lebensverlängernd. So hat die bislang größte Studie zum Thema mit rund 370.000 Teilnehmern und einem Beobachtungszeitraum von neun Jahren aufgedeckt, dass Vollkornfans eine um 22 Prozent niedrigere Sterberate haben als Weißbrotfreunde. Die DGE wie andere Fachgesellschaften empfehlen daher, täglich 30 Gramm der Pflanzenstoffe vor allem aus Vollkorngetreide zu sich zu nehmen.

Ballaststoffe sind per Definition Bestandteile der Nahrung, die nicht oder kaum vom menschlichen Verdauungssystem abgebaut werden können. Sie werden eingeteilt in lösliche oder unlösliche Stoffe. Zu den löslichen zählen Pektin und Inulin, sie kommen meist in Obst und Gemüse vor. Getreide enthält beide Arten: lösliche wie resistente Stärke und Oligosaccharide (Mehrfachzucker) im Inneren der Körner, unlösliche Ballaststoffe wie Cellulose, Hemicellulose und Lignin in Randschichten.

Da Magen und Dünndarm mit ihren Enzymen machtlos gegenüber diesen Stoffen sind, gelangen sie unverdaut in den Dickdarm. Dort machen sich Bakterien über die Ballaststoffe her und bauen sie zu kurzkettigen Fettsäuren und Gasen ab. Zwar nutzen die Bakterien die Fette als Treibstoff, ein Teil davon kann aber auch ins Blut gelangen und als Kalorien in der Energiebilanz des Menschen aufscheinen.

Auf ihrem Weg durch den menschlichen Verdauungstrakt entfalten die Pflanzenstoffe, die im Darm aufquellen, ihre Wirkungen: Sie beschleunigen die Darmpassage und binden Gallensäuren, Östrogene sowie krebserregende Substanzen. Ballaststoffe fixieren auch Cholesterin aus der Nahrung und senken damit den Cholesterinspiegel im Blut. Zudem machen sie durch ihr großes Volumen besser satt und beugen dem Übergewicht vor. Die von den Darmbakterien gebildeten Fettsäuren hemmen das Wachstum von Krebszellen.

"Warum sich das Diabetes-Risiko bei hohem Vollkorn-Konsum verringert, ist allerdings noch nicht gut erklärt", sagt Andreas Pfeiffer, Ernährungsmediziner am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Offensichtlich ist hilfreich, dass Zucker aus der Nahrung in Anwesenheit der Ballaststoffe langsamer ins Blut gelangt. Andere mögliche Erklärungen bemühen indirekte Effekte. Beobachtungen zeigen jedenfalls, dass unlösliche Ballaststoffe wie Kleie, denen auch die Bakterien nichts abgewinnen können, den Zuckerstoffwechsel verbessern. "Sie eliminieren wahrscheinlich ungünstige Komponenten der Nahrung", erklärt Pfeiffer.

Allerdings spielen hier auch genetische Faktoren eine Rolle. So deckte im Jahr 2010 die Potsdamer EPIC-Studie mit mehr als 27.000 Teilnehmern auf, dass Vollkornfans nur dann signifikant seltener an Diabetes erkranken, wenn sie eine bestimmte Variante einer Erbanlage tragen.

Aber auch bei vielen anderen kommen die Effekte der Ballaststoffe nicht voll zum Tragen - weil die meisten Deutschen zu wenig davon essen. Laut der Nationalen Verzehrstudie II schaffen es 75 Prozent der Frauen und 68 Prozent der Männer nicht, täglich 30 Gramm Ballaststoffe in ihren Speiseplan zu integrieren. Die mittlere Zufuhr beträgt bei Männern aber immerhin 25, bei Frauen 23 Gramm.

"Die fehlende Menge sollte möglichst aus Lebensmitteln stammen, die natürlicherweise ballaststoffreich sind", sagt Elisabeth Wisker, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität in Kiel. Ein Beispiel dafür ist, Roggen- statt Weizenprodukte zu essen. "Durch die vermehrte Aufnahme von Ballaststoffen über Getreideprodukte, Kartoffeln, Gemüse und Obst erhöht sich auch die Zufuhr anderer wünschenswerter Substanzen."

Allerdings hat die 30-Gramm-Empfehlung auch Nachteile. Um die empfohlene Menge zu erreichen, müssten Menschen zum Beispiel 300 Gramm Vollkornbrot pro Tag essen. Das sind 600 bis 700 Kilokalorien - mehr als ein Drittel der angeratenen Energieaufnahme für Frauen. "Die Aufnahme von so viel Ballaststoffen ist eigentlich nur unter Gewichtszunahme zu schaffen, die wiederum einen Diabetes verstärken kann", gibt Andreas Pfeiffer zu bedenken.

Als Ausweg aus dem Dilemma gelten manchen Experten Zusatzstoffe. So enthalten etwa Joghurts Ballaststoffe wie Oligofructose oder Inulin, die das Wachstum von nützlichen Darmbakterien fördern sollen. Auch Getränke und Frühstückscerealien werden gerne mit einer Ballaststoffzugabe, etwa Kleie, aufgehübscht. Sogar manche Wurstwaren bekommen inzwischen Ballaststoffe in die Masse. Elisabeth Wisker hält das für kontraproduktiv. Schließlich wolle man ja auch erreichen, dass die Menschen ihrer Gesundheit zuliebe weniger Fleisch und Fett essen.

30-Gramm-Empfehlung mit Nachteilen

Zudem haben einige Studien gezeigt, dass zugesetzte Ballaststoffe nicht immer die gleiche Wirkung entfalten wie die in Lebensmitteln natürlicherweise vorkommenden. So beugen Ballaststoffe in grobem Vollkornbrot besser einer Verstopfung vor als feines Ballaststoffpulver, das Brot zugesetzt wird. Die Zusatzstoffe machen auch nicht so satt. So hat kürzlich die Wissenschaftlerin Joanne Slavin von der Universität in Minnesota herausgefunden, dass ein mit unterschiedlichen Ballaststoffen angereicherter Schokoriegel das Sättigungsgefühl ihrer 22 Probandinnen nicht erhöhte, die daher auch insgesamt nicht weniger aßen.

Wichtig ist auch eine klinische Studie des Wissenschaftlers John Mathers von der Universität Newcastle, die vor Kurzem in der Zeitschrift Lancet Oncology erschienen ist. Die gut 900 Versuchspersonen, die alle ein genetisch erhöhtes Risiko für Dickdarmkrebs hatten, erhielten entweder vier Jahre lang 30 Gramm resistente Stärke pro Tag oder ein Placebo. Am Ende zeigte sich kein Unterschied, als Zusatzpräparat hatte der Ballaststoff zumindest nicht geholfen.

Trotzdem spricht auch einiges für das Ballaststoff-Plus in Lebensmitteln. "Für betagte Menschen, die Probleme mit dem Kauen haben, kann es durchaus sinnvoll sein, auf angereicherte Produkte zurückzugreifen", sagt die Kieler Wissenschaftlerin Wisker. Zudem lässt sich der Verbraucher in Sachen Ernährung kaum umerziehen. "Viele Menschen bekommen Blähungen von Vollkorn, andere mögen dessen Geschmack nicht", erklärt Andreas Pfeiffer.

Auch in den USA denkt man darüber nach, den Mangel durch Anreicherung zu beheben. Amerikaner schaffen im Schnitt nämlich nur die Hälfte der empfohlenen 30 Gramm. So hat ein Treffen verschiedener US-Experten im vergangenen Jahr festgehalten, dass neben verbesserter Aufklärung der Bevölkerung auch Ballaststoff-Zusätze in Lebensmitteln zu einer erhöhten Aufnahme führen könnten. Der Runde Tisch wurde von der Kellogg Company, einem der größten Hersteller von Frühstücksflocken, finanziert.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2012/mcs
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