Süddeutsche Zeitung

Geschlechterforschung:Die verflixte Macht der Geschlechterrollen

  • Eine internationale Studie hat erneut bestätigt, dass Kinder schon früh in ihre Geschlechterrollen gepresst werden.
  • In 15 Ländern haben Forscher der Johns Hopkins Universität 450 Kinder im Alter von elf bis 14 Jahren und deren Eltern zu ihren Geschlechtervorstellungen befragt.
  • In armen wie in reichen, in konservativen wie liberalen Ländern waren die Vorstellungen sehr ähnlich darüber, wie Mädchen in ihre Rolle als Frau hineinwachsen sollen, ebenso wie Jungen in die des Mannes.

Von Astrid Viciano

Ach, wie schön das Kleid der Barbie glitzert! Das goldblonde Haar der Puppe ist samtweich, verträumt streicht die brave Sechsjährige darüber, als der kleine Bruder ins Kinderzimmer stürmt. Er schnappt sich die Barbie und wirft sie - krawumm - gegen die Wand. Ein Rabauke halt, was soll man machen, beschwichtigen die Eltern lächelnd, so seien Jungs nun einmal.

Wem bei solchen Erklärungen übel wird, der sollte jetzt besser nicht weiterlesen. Denn eine internationale Studie hat nun erneut bestätigt, dass Kinder schon früh in ihre Geschlechterrollen gepresst werden. Weltweit. In verschiedenen Regionen und Gesellschaften. In insgesamt 15 Ländern haben Forscher der Johns Hopkins Universität 450 Kinder im Alter von elf bis 14 Jahren und deren Eltern zu ihren Geschlechtervorstellungen befragt.

In Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation haben die Gesundheitswissenschaftler die Ergebnisse ihrer Global Early Adolescent Study GEAS in einer Reihe von Artikeln im Journal of Adolescent Health vorgestellt, es ist eine der ersten kulturübergreifenden Untersuchungen zum Thema in dieser Altersgruppe überhaupt.

"In New Delhi nahmen Mädchen ihren Körper als großes Risiko wahr."

In den ersten Lebensjahren ihrer Kinder achten viele Eltern in westlichen Ländern längst darauf, ihren Nachwuchs nicht in vorgegebene Rollen zu zwängen. Sie animieren ihre Töchter, mit Holzwerkzeug zu hantieren. Und die Söhne dürfen natürlich mit Puppen spielen. Und doch läuft irgendetwas schief, zumindest wenn man sich die aktuellen GEAS-Ergebnisse ansieht. In armen wie in reichen, in konservativen wie liberalen Ländern waren die Vorstellungen sehr ähnlich darüber, wie Mädchen in ihre Rolle als Frau hineinwachsen sollen, ebenso wie Jungen in die des Mannes.

"Kinder verinnerlichen schon in sehr jungem Alter den Mythos, dass Mädchen verletzlich und Jungs stark und unabhängig sind", sagt Studienleiter Robert Blum. Früh werde den Kleinen diese "Zwangsjacke" übergestülpt, beklagen die Forscher, von Eltern und Geschwistern, Klassenkameraden und Lehrern, Trainern und Verwandten.

In Shanghai und Neu-Delhi zum Beispiel rieten Eltern ihren Töchtern oft, in ihrer Freizeit daheim zu bleiben und bei der Hausarbeit zu helfen. In allen Ländern berichteten weibliche Jugendliche durchweg, dass ihr Aussehen für sie von zentraler Bedeutung sei. "In New Delhi nahmen Mädchen ihren Körper als großes Risiko wahr", berichtet Kristin Mmari, eine der Studienautoren. In Baltimore, USA, sprachen Gleichaltrige davon, dass sie gern einen attraktiven Körper hätten. Zu attraktiv sollte er aber besser nicht sein.

Besonders für Mädchen kann es gefährlich sein, wenn sie sich in stereotype Rollen pressen lassen, wenn sie sich zum Beispiel unterwürfig verhalten, so berichten die Forscher. Dann nämlich haben sie ein erhöhtes Risiko, früh verheiratet zu werden, die Schule abzubrechen, und sie werden öfter Opfer sexueller Gewalt. "Jungs bringt die Pubertät mehr Freiheit und Unabhängigkeit", schreibt einer der Studienautoren. Für Mädchen dagegen schrumpft die Welt - und wird manchmal schrecklich klein.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2017/fehu
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