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Geschichte der Diäten:Alte Pein an neuen Bäuchen

Vieles, was die Diätindustrie als revolutionäre Methode anpreist, ist eigentlich uralt. Die Wunder-Diät, der Fett-Weg-Massierer, die Schlankheitspille: Alles schon seit Jahrhunderten auf dem Markt - und nach wie vor nicht empfehlenswert.

Berit Uhlmann

Diäten gibt es seit mindestens 2000 Jahren, Dicke werden seit Jahrhunderten geschröpft, erläutert die britische Medizinhistorikerin Louise Foxcroft in Calories & Corsets (London, 2012). Basierend auf ihrem Buch - hier eine Typologie der leeren Diätversprechen:

Der Diätguru

Seine Methode ist stets so einzigartig, dass es nur eine passende Bezeichnung für sie gibt: des Gurus Namen. Meist ist er ein ehemaliger Leidensgenosse der Übergewichtigen, hat selbst über Jahre gehungert und gelitten. So gleichförmig wie seine Geschichte und deren Erweckungston, so beliebig ist allerdings seine Abnehm-Methode.

1558 schrieb der venezianische Kaufmann Luigi Cornaro den wohl ersten Bestseller des Diätmarktes. Seine krause Mischung erlaubter und verbotener Speisen verdankte ihren Erfolg sicher auch dem Bekenntnis des Italieners, durch die Diät seine "Männlichkeit" wiedergewonnen zu haben. Die Aussicht auf ein aktiveres Sex-Leben ist ein Pfund, mit dem die Diätindustrie noch heute gerne wuchert.

Etwa 300 Jahre später veröffentlichte der Engländer William Banting eine angebliche Wunderdiät, die so erfolgreich war, dass der Name des Erfinders als Verb in die englische Sprache überging. "I am Banting", sagte, wer damals auf Diät war. Sein Expertentum bezog der Londoner aus dem Erfolg, 46 Pfund abgenommen zu haben. Von Profession war er Bestatter. Bantings Diät fußte auf dem Verzicht von Kohlenhydraten, der zuvor schon in Frankreich propagiert worden war. Das alles hielt den US-Kardiologen Robert Atkins nicht davon ab, die alte Low-Carb-Idee in den 1970er Jahren als "Diät-Revolution" zu vermarkten.

Anfang des 20. Jahrhunderts drängte der amerikanische Arzt William Hay mit dem Befund auf den Markt, der Körper könne Kohlenhydrate und Eiweiße nicht gleichzeitig verdauen und deshalb würden beide zusammen dick machen. Garniert mit seiner eigenen Abnehmgeschichte, brachte er die Hay'sche Trennkost auf den Markt. Obgleich die Grundannahme längst widerlegt ist, findet die Methode noch immer ihre Anhänger.

Der Diätguru ist auch heute noch eine feste Institution. Aktuell zählt vor allem der französische Arzt Pierre Dukan dazu, der bekannt wurde, als er die Familie Middleton vor Kates Hochzeit mit Prinz William in Form brachte. Seine Diät ist eine Mischung allerlei anderer Methoden: Er verbietet phasenweise dies, erlaubt streckenweise anderes und trennt zwischendurch bestimmte Lebensmittel voneinander. Die Diät ist umstritten. Wegen seinem Profitstreben droht dem Arzt im eigenen Land der Entzug der Approbation.

Der Fett-Weg-Rüttler

Der größte Humbug der Diätindustrie entspringt dem Versprechen, dass Abnehmen ohne Mühe möglich wäre. Bis heute werden Apparaturen und Techniken beworben, die glauben machen, sie könnten Dicken mühselige Bewegung ersparen.

1844 kamen "Trainings-Geräte" in Form von mechanischen Pferden auf den Markt. Die Holztiere liefen im Kreis und sollten die Verdauung der "Reiter" beschleunigen.

In Frankreich war Anfang des 20. Jahrhunderts die "passive Ergotherapie" en vogue. 100 Stromstöße pro Minute ließen Abnehmwillige auf speziellen Liegestühlen zucken und zittern.

Etwa zur gleichen Zeit eröffnete der erste amerikanische Abnehm-Salon. Seine Kunden gaben sich der Illusion hin, durch zwei große Rollen quasi schlankgewalzt zu werden.

In den 40- und 50-er Jahren ließ sich mit plumper Mechanik und elektrischen Entladungen nicht mehr so viel Eindruck schinden. Die Stunde der persönlichen Masseure brach an. Zu den bekanntesten gehörte "Sylvia of Hollywood", die ihren Klientinnen versprach, dass deren "Fett aus den Poren gequetscht werde, wie Kartoffelbrei aus der Kartoffelpresse".

Auch diese Absurdität ist nicht verschwunden: Heute beutet die Wellness-Industrie die Idee aus, Massagen aller Art könnten schön und schlank machen.

Wundersame Wässerchen, Pülverchen und Tabletten sind von alters her das Mittel für all jene, die lediglich ihren Schluckapparat bemühen wollen, um zur guten Figur zu gelangen.

Schon um 1650 gab es Kräuterwässerchen, deren Mischer für sich in Anspruch nahmen, Erfinder von Diätdrinks zu sein. Anfang des 20. Jahrhunderts blühte das Geschäft mit den Diätmittelchen dann richtig auf. Viele enthielten keinerlei Wirkstoff, andere gefährliche Ingredienzien: Die Gifte Arsen und Strychnin, von denen man sich eine allgemein stimulierende Wirkung erwartete, gehörten dazu. In den 30er Jahren enthielten manche Abnehmpillen Amphetamine.

Zu trauriger Berühmtheit gelangte die Chemikalie Dinitrophenol (DNP), die unter anderem zur Herstellung von Munition verwendet wurde. Als auffiel, dass die Arbeiter einer französischen Sprengstofffabrik rapide an Gewicht verloren, während sie mit der Chemikalie in Kontakt kamen, begann ihre Karriere als Diätpille. Geschätzte 100.000 Amerikaner schluckten den Stoff Mitte der 30er Jahre. Erst nachdem es mehrere Todesfälle gab, wurde er verboten. Die Nebenwirkungen, an denen schon die französischen Arbeiter gelitten hatten, waren außerdem: Schwindelanfälle, Herzrasen, Kopfschmerzen und Erbrechen.

Wundersame Pillen mit unbewiesener Wirkung gibt es noch immer. Aktuell werden Mittel auf Basis der Acai-Beere mit den fantastischen Versprechen beworben, dass sie innerhalb kürzester Zeit das Gewicht reduzieren und den Penis wachsen lassen könnten.

Detox und Entschlacken

Die Idee, dass der Körper von innen gereinigt werden müsse, war zunächst wörtlich zu verstehen. Anfang des 19. Jahrhunderts war es unter Abehmwilligen üblich, Seife zu essen. Sie diente als Brech- und Abführmittel.

In den 30er Jahren kam die Idee auf, dass sich Schädliches im Körper, und dort besonders im Darm, ansammele. In Deutschland prägte Otto Buchinger dafür den Begriff der Schlacken. Obgleich wissenschaftlich nicht plausibel, ist es nach wie vor in Mode, den Darm von oben und unten zu reinigen und zu entfetten.

Die Kosmetikindustrie wollte selbstredend nicht außen vor bleiben, wenn von Reinigung die Rede war. Anfang des 20. Jahrhunderts kam die "medizinische Seife" auf den Markt. Ausgiebig auf Fettpolster gerieben, könne sie, so das Versprechen, diese auflösen und damit schlimme Gefahren abwenden: dass nämlich das schädliche Fett ins Körperinnere wandere und die Organe belaste.

In den 20er Jahren waren in den USA so viele Kosmetikprodukte mit vermeintlicher "fettauflösender" Wirkung auf dem Markt, dass sich die Regierung zu einer Untersuchung veranlasst sah. Die Analyse ergab unter anderem, dass einige Produkte simple Seife im Wert von fünf Cent enthielten, die zum 30-fachen Preis verkauft wurden.

Kaum anders verhält es sich mit modernen Detox-Produkten. Als die britische Wissenschaftlerorganisation "Voice of Young Science" 2009 den Markt analysierte, stellte sie fest, dass es sich bei den "Entgiftungs"-Heilsversprechen um profane Dinge wie Bürsten, Shampoos und Tee handelte.

Lange Zeit war Kautabak ein Mittel, mit dem Menschen versuchten, den Hunger zu unterdrücken.

In den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts warben die Tabakkonzerne unverhohlen damit, dass Zigaretten den Appetit zügeln würden. Auswertungen von Dokumenten der Tabakindustrie zwischen 1949 und 1999 ergaben, dass Philip Morris und American Tabacco ihren Zigaretten Appetitzügler beimengten, schreibt die Medizinhistorikerin Foxcroft. Mindestens vier weitere Hersteller sollen an solchen Beimischungen geforscht haben.

Noch heute wirkt - wenngleich subtiler - die Verheißung, rauchen halte einem das Fett vom Leib. Zigaretten in besonders schlanker Form, in schmalen Verpackungen und mit dem Aufdruck "slim", verleiten Raucherinnen zu dem Glauben, dass Rauchen gut für die Figur sei, wie eine jüngere Studie an 500 Frauen ergab.

Tabak mag den Appetit etwas zügeln können, seine Gesundheitsrisiken sind jedoch so groß, dass er heute wie damals nicht als Abnehmhilfe empfohlen werden kann.

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