Süddeutsche Zeitung

Gepanschte Krebsmedikamente:Dealer in Weiß

Ein Apotheker in Bottrop soll in 60 000 Fällen Krebsmedikamente gepanscht und so mit dem Leben von Patienten gespielt haben. Der Fall offenbart schwere Mängel bei der Überwachung von Arzneimitteln.

Von Werner Bartens

Kommende Woche beginnt der Prozess gegen den Chef der Alten Apotheke in Bottrop. Er soll in mehr als 60 000 Fällen Arzneimittel "entgegen der pharmazeutischen Kunst" hergestellt haben, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die gepanschten Krebsmittel wurden an Schwerkranke verkauft, manchmal war kein Wirkstoff, nur Kochsalz darin enthalten.

Die strengen Hygieneregeln, wie sie für die Herstellung von Krebsmitteln unter Reinraumbedingungen gelten, hat der Angeklagte nicht immer eingehalten. Gelegentlich kam er in Straßenkleidung in die penibel sauber zu haltenden Räume, sogar Hundehaare wurden dort gefunden. Abrechnungsbetrug in 50 000 Fällen habe zu einem Schaden von 56 Millionen Euro für die Krankenkassen geführt. Der Prozess wird ab Montag vor der Wirtschaftstrafkammer geführt.

Die Sicherheit von Krebsmitteln ist nicht immer gewährleistet

Angesichts des Ausmaßes der Tat wäre es leicht, das Vergehen als monströsen Einzelfall darzustellen. Eine solche Skandalisierung engt den Blick jedoch ein auf den Missetäter. Diese Individualisierung von Schuld trübt die Wahrnehmung für die Schwächen des Systems. Der Einzelne wird verurteilt und beschimpft - die Strukturen bleiben unverändert.

Natürlich muss der Apotheker juristisch belangt werden. Aber mindestens so wichtig ist es, weitere Missstände anzugehen: Warum stehen Abrechnungsbetrug und Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz im Mittelpunkt des Prozesses und nicht versuchte Körperverletzung? Gibt es im Arsenal der Rechtssprechung keine Mittel, um entschiedener dagegen vorzugehen, wenn mit dem Leben von Patienten gespielt wird? Und muss die Herstellung von Medikamenten nicht engmaschiger kontrolliert werden, wenn allein in einer Apotheke tausendfach gepanscht und geschludert werden konnte?

Ein Einzelfall ist der Betrug von Bottrop schließlich keineswegs. Die Sicherheit von Krebsmitteln ist aufgrund von Re-Importen und Medikamenten unklarer Herkunft und Qualität nicht immer gewährleistet, wie die Holmsland-Affäre gezeigt hat. Arzneimittel werden zu lasch kontrolliert, dubiose Umwege von der Herstellung bis zum Patienten werden zu selten überprüft. Eine Reform ist dringend nötig, wird aber nicht leicht. Schließlich ist bei Krebskranken oft kaum zu unterscheiden, ob ihr schlechter Zustand auf den rapiden Verlauf der Krankheit zurückzuführen ist - oder auf Mittel ohne Wirkstoff.

Zu weiteren traurigen Fehlern des Systems gehört es, dass Patienten kurz vor dem Tod noch eine Behandlung zugemutet wird, die nicht ihr Leben, sondern ihr Leiden verlängert - 20 Prozent der Tumorkranken in Deutschland erhalten eine "Chemotherapie am offenen Grab".

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Quelle:
SZ vom 11.11.2017
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