Genetische Experimente:Der Mensch steht an der Schwelle eines neuen Zeitalters

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In Stanley Kubricks Meisterwerk "2001: A Space Odyssey" - hier die Schlussszene - lenken Außerirdische die menschliche Evolution. Heute kann der Mensch selber eingreifen. (Foto: Warner Brothers)
  • Nicht erst seit den Einlassungen des Chinesen He ist klar: Der Mensch steht an der Schwelle eines neuen Zeitalters.
  • Es wird nicht allein durch künstliche Intelligenz geprägt sein, sondern auch massiv durch die Gentechnik.

Von Kathrin Zinkant

Als die entfernten Verwandten des heutigen Menschen vor knapp vier Millionen Jahren durch Afrika streiften, hätte die Geschichte noch ganz anders ausgehen können. Sie waren wehrlose Affen, stets vom Aussterben bedroht. In Arthur C. Clarkes Roman "2001: A Space Odyssey" greift der Affenmensch nach der Ankunft eines außerirdischen Monolithen schließlich zu einem Stein. Das Tier, das noch nicht richtig Mensch ist, beginnt Tiere zu jagen, Fleisch zu essen, sich gegen Gefahren und Artgenossen zu verteidigen. Er emanzipiert sich vom natürlichen Angebot seiner Umwelt, vom Schicksal.

Clarkes Buch wurde durch Stanley Kubricks Verfilmung 1968 weltberühmt, ein Meisterwerk der Science Fiction. Weniger oft erwähnt wird die Tatsache, dass die Odyssee im Weltraum auch die Geschichte der menschlichen Evolution erzählt - fiktiv gelenkt von Aliens, die als Monolithen die entscheidenden nächsten Schritte im Werden des Menschen einleiten.

Ein außerirdischer Monolith ist vor knapp vier Wochen in Hongkong nun nicht gelandet. Allerdings wurde bekannt, dass ein chinesischer Wissenschaftler menschliche Embryonen im Zuge einer künstlichen Befruchtung gezielt genetisch verändert haben will. Sie sollen ausgetragen und geboren worden sein und würden ihre erbliche Veränderung an alle kommenden Generationen weitergeben. Gesehen hat die Kinder zwar auch Wochen später niemand, es gibt nach wie vor Zweifel daran, dass die Experimente überhaupt stattgefunden haben.

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Doch ganz gleich, ob es denn stimmt, was der Forscher He Jiankui der Welt da an verstörenden Neuigkeiten überbracht hat: Es steht fest, dass die Biotechnologie einen solchen Schritt heute ermöglicht. Es ist machbar. Der Mensch ist durch moderne Gentechnik in der Lage, seine Evolution in die eigene Hand zu nehmen. Er kann gezielt tun, was bislang weitestgehend dem Zufall und der natürlichen Auslese überlassen war, er kann sich vorteilhafte Eigenschaften verleihen und unvorteilhafte Merkmale auslöschen, direkt im Erbgut, weil er es will. Das Instrument, das es möglich macht, heißt Crispr-Cas9, verkürzt wird es oft nur "Crispr" genannt. Es handelt sich um ein Molekülensemble aus Bakterien, das weit älter ist als der Mensch, ein Produkt der Evolution - entwickelt zur Abwehr von Viren, die Bakterien befallen und zerstören.

Wie der Stein in den Händen von Clarkes Affenmenschen ist dieses Crispr in der Hand des modernen Homo sapiens jetzt das Mittel, über den evolutionären Status quo der eigenen Spezies hinauszuwachsen. An den Reaktionen auf He Jiankuis Scoop wurde klar, dass es ethische Vorbehalte gibt. Immerhin ist die Technologie jung und unvollständig verstanden. Zugleich hat der Chinese für den Griff ins Erbgut ein Merkmal gewählt, das für den Fortbestand der Menschheit wenig Relevanz hat. He wollte die Anfälligkeit der Kinder für den Aids-Erreger HIV verringern oder gar eliminieren. Dabei lässt sich eine Ansteckung auch anders verhindern.

Aber immerhin, als mögliche Vision für eine Anwendung des neuen Super-Werkzeugs war das Szenario schon vor drei Jahren entworfen worden. Damals äußerte der Medizin-Nobelpreisträger Craig Mello, er könne sich gut vorstellen, "dass eine veränderte Keimbahn die Menschheit vor Krebs, Diabetes und anderen altersbedingten Krankheiten schützt".

Krankheiten, Armut und Hunger bekämpft der Mensch schon lange auf unnatürliche Weise

Wer wünscht sich das nicht, eine bessere, gesündere und langfristige Zukunft menschlicher Existenz? Und Krankheiten, Armut und Hunger, Probleme während der Schwangerschaft und Geburt bekämpft der Mensch schließlich schon seit Jahrtausenden auf unnatürliche Weise. Er greift durch Züchtung in die Genetik von Nahrungspflanzen und -tieren ein, auf dass Geschöpfe entstehen, welche die Evolution so niemals hervorgebracht hätte.

Er hat eine wissenschaftlich fundierte Medizin etabliert, dank der lebensbedrohliche Krankheiten behandelt werden können und immer weniger Kinder sterben. Menschen passen zudem die Umwelt den eigenen Eigenschaften an. Sie fahren Auto, sie heizen, sie haben ein perfektes Versorgungsnetzwerk für Nahrung erschaffen, das mit Natur nichts mehr zu tun hat, weil es mit Zufall nichts mehr zu tun hat.

Aus dieser Perspektive hat der Mensch seine Evolution längst in die Hand genommen. Das sehen auch viele kluge Köpfe in der Wissenschaft so. Harvey Fineberg zum Beispiel, ehemaliger Harvard-Professor für Gesundheitsforschung, hat noch vor der Erfindung der Genschere Crispr-Cas9 in einem Ted-Talk über eine Neo-Evolution reflektiert. Der Mensch hat demnach nicht mehr viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Eine Option sei, bei dem zu bleiben, was es gibt, samt Krankheiten und beschränkter Lebensspanne. Eine andere, "verlockende, faszinierende und erschreckende Möglichkeit" stelle dagegen die selbstbestimmte Evolution dar, "geführt und entschieden von uns als Individuen".

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Fineberg meint nicht Designerbabys, die stets als Horrorvision herhalten müssen, obwohl solche durchgeplanten Kinder biologisch unmöglich sind. Der Gesundheitsexperte denkt an das, was ihn als Mediziner antreibt. "Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ich als Arzt auf ein Ziel hinarbeite, das ein anderes ist als das Ziel der Evolution - nicht zwangsläufig widersprüchlich, aber anders." Die Unfitten, die eigentlich keine Chance hätten im Kampf ums Überleben, sie werden eben fit gemacht, damit sie es schaffen.

Die andere Seite betrachtet den Menschen eher als kostbares Unikat in der Produktpalette der Evolution, ein unwahrscheinliches Lebewesen, das vor sich selbst geschützt werden muss. Der israelische Historiker Yuval Harari hat die genetische Manipulation der menschlichen Spezies schon in seinem ersten Buch "Eine kurze Geschichte der Menschheit" erörtert, das ebenfalls noch vor der Crispr-Revolution erschienen ist. "Die Gentechnik wird uns zwar nicht unbedingt umbringen, aber es könnte so weit gehen, dass der Homo sapiens nicht mehr wiederzuerkennen ist", schreibt Harari. Diese Angst teilen nicht wenige. Und ja, es wird inzwischen auch in der Politik darüber gesprochen, ob man Crispr am Menschen anwenden sollte.

Ausgerechnet in der Woche, in der He Jiankui die Welt den Crispr-Baby-Schreck einjagte, fand mitternächtlich sogar eine Bundestagsdebatte zum Thema statt. Die FDP hatte den Antrag gestellt, Chancen vor Risiken zu sehen und die neue Gentechnik politisch zu umarmen. Über ein Antragsbashing ging die Debatte aber nicht hinaus. Was umso bedrückender ist, als dass alle Redner gut informiert erschienen. Sie wussten um die Unterschiede zwischen individuellen Gentherapien und einem vererbbaren Eingriff in die Keimbahn, sie hatten auch die Ereignisse in Hongkong wahrgenommen. Die entscheidende Frage nach einem Umgang mit den Möglichkeiten aber ließen sie aus, sie verwiesen auf die Einigkeit in der Wissenschaft, dass solche Menschenversuche abzulehnen seien.

Was so aber nicht stimmt. Der Mehrheit der Wissenschaftler geht es allein um den Zeitpunkt, und wer sich mit Crispr und seinen Fähigkeiten befasst, weiß, was auf die Menschheit zukommt. Man kann es verdammen oder begrüßen: Auch ganz ohne den Einfluss eines außerirdischen Monolithen steht der Mensch an der Schwelle eines neuen Zeitalters, das nicht allein durch künstliche Intelligenz geprägt sein wird, sondern massiv durch die Gentechnik. Es obliegt dem menschlichen Willen, diesen Schritt zu gestalten. Oder, um es mit Harari zu sagen: "Die wichtigste Frage der Menschheit ist nicht: Was dürfen wir nicht? Sondern: Was wollen wir werden?"

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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