Süddeutsche Zeitung

Gefälschte Medikamentenstudien:Frankreich und Belgien verbieten Dutzende Arzneien

  • Im Skandal um manipulierte Medikamentenstudien haben Frankreich und Belgien Dutzende Namen von Arzneien veröffentlicht, die dort erstmal nicht mehr verkauft werden dürfen.
  • Darunter sind Mittel gegen Alzheimer, Rheuma und Bluthochdruck. Sogar Originalpräparate sind unter Verdacht.

Von Christina Berndt und Katja Riedel

Im Skandal um in Indien gefälschte Medikamentenstudien haben französische und belgische Behörden die ersten Arzneimittelzulassungen gestoppt. Die Präparate, die in Frankreich und Belgien zunächst nicht mehr verkauft werden dürfen, decken ein breites Spektrum von Krankheiten ab: Mittel gegen Bluthochdruck sind ebenso darunter wie Antiallergika, Rheumamittel mit dem Wirkstoff Ibuprofen, Antidepressiva und Medikamente gegen Demenz.

Insgesamt werden in Frankreich 25 Zulassungen (eine Auflistung der Medikamente finden Sie hier) ausgesetzt, in Belgien sind es acht (diese sind hier aufgelistet). Da es sich ausschließlich um Arzneien handelt, für die in Frankreich und Belgien nationale Zulassungen erwirkt wurden, sind die Produkte nur zu einem geringen Teil auch in Deutschland erhältlich. Konkret trifft dies auf das nun mit dem Stopp belegte Donepezil-HCl des US-Unternehmens Mylan zu. Die Firma war am Sonntag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Bei Donepezil handelt es sich um ein umstrittenes Medikament gegen Alzheimer, das ursprünglich von der japanischen Firma Eisai entwickelt wurde. Inzwischen ist der Patentschutz ausgelaufen, es gibt zahlreiche Nachahmerpräparate (Generika), also Kopien von Donepezil. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn überprüft derzeit Medikamente.

176 deutsche Zulassungen könnten dabei sein

176 rein deutsche Zulassungen, die nach Studien bei der indischen Firma GVK Biosciences in Hyderabad erteilt worden waren, sind nach Angaben des BfArM gefährdet. Erste konkrete Entscheidungen über einzelne Mittel seien inzwischen getroffen, sagte ein Sprecher am Sonntag, die ersten Namen würden in Kürze veröffentlicht. In diesen Fällen sei man sicher, dass die Grundlage für die Zulassung aufgrund manipulierter Studien nicht mehr gegeben sei, oder man habe "erhebliche Zweifel" an der Glaubwürdigkeit der Studien. GVK erklärt dagegen, die beanstandeten Daten seien für die Ergebnisse nicht relevant gewesen.

Aus Behördensicht ist aber Vorsicht angebracht: Den Herstellern drohen schwere Umsatzeinbußen, wenn eine Zulassung erst einmal gestoppt wird. Diese Folgen werden die Firmen kaum widerstandslos hinnehmen. "Das ist kein trivialer Verwaltungsakt", so der BfArM-Sprecher. Sorgen um ihre Gesundheit müssen sich Patienten aber wohl nicht machen, die Medikamente einnehmen, welchen die Zulassung entzogen wird. Darin sind sich alle Behörden einig. Und dafür spricht auch, dass Frankreich die betroffenen Medikamente erst am 18. Dezember vom Markt nimmt.

"Es handelt sich um eine Maßnahme, die vor allem auf vorbeugenden Patientenschutz abzielt", betont der BfArM-Sprecher. "Wir haben keine Hinweise darauf, dass Patienten gefährdet sind." Gäbe es erhöhte Risiken, so hätten diese längst auffallen müssen: Ärzte melden Nebenwirkungen im Rahmen eines Spontanmeldesystems. Hier habe es aber keine Auffälligkeiten bei den Generika im Vergleich zu den Original-Arzneien gegeben. Und die Originale wurden von vielen Menschen jahrelang eingenommen, bevor ein Generikum wegen des auslaufenden Patentschutzes auf den Markt kommen konnte.

Der Fall sei eine Warnung

Die meisten Arzneien hat allerdings derzeit die Europäische Arzneimittelbehörde EMA im Visier. Sie überprüft alle europaweiten Zulassungen, deren Grundlage Studien bei GVK Bio waren - rund 1250 an der Zahl. Im Januar will die EU-Kommission über einen Marktstopp entscheiden. Unter diesen 1250 Zulassungen befinden sich nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR allerdings nicht mehr nur Nachahmerprodukte. Es geht auch um gänzlich neue Medikamente, für welche die indische Firma GVK Bio klinische Studien an Menschen verantwortet hatte. Sollten hier Daten manipuliert worden sein, könnte das für Patienten gefährlich werden: Für neue Medikamente gibt es - anders als bei Nachahmerprodukten - keine Erfahrungswerte.

"Es ist gut, dass die Probleme jetzt erst einmal bei Generikastudien aufgefallen sind", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom pharmakritischen Arznei-Telegramm. Der Fall sei jedoch eine Warnung, dass generell härter durchgegriffen werden müsse, gerade auch bei den kritischeren Originalstudien in Schwellenländern wie Indien. Es sei bekannt, dass die Qualität und die Einstellung zur guten klinischen Praxis dort geringer ausgeprägt seien. Das sei auch den Aufsichtsbehörden bewusst, die bereits moniert hätten, dass es zu wenige Inspektoren gebe. Becker-Brüser ist sich darum sicher: "Das ist ein Pulverfass."

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SZ vom 08.12.2014/jana
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