Süddeutsche Zeitung

Gefälschte Arzneimittelstudien:Verkaufsstopp für 29 Medikamente

  • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn hat eine Liste von Arzneimitteln veröffentlicht, die wegen offenbar gefälschter Studiendaten nicht mehr verkauft werden dürfen.
  • Die Zulassungen ruhen so lange, bis die Hersteller neue Studien vorlegen können, die die Wirksamkeit ihrer Medikamente belegen.
  • Die BfArM betont, dass für die Patienten keine Gesundheitsgefahr bestehe.

Von Christina Berndt und Katja Riedel

Nach Behörden in Frankreich, Belgien und Luxemburg hat am Dienstag auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn eine Liste von Arzneimitteln veröffentlicht, die wegen offenbar gefälschter Studiendaten nicht mehr verkauft werden dürfen.

Bereits am Montag seien die Hersteller informiert worden, dass die in Indien erhobenen Wirkdaten für die betroffenen Medikamente nicht mehr zur Zulassung herangezogen werden könnten, teilte das BfArM mit. In dem entsprechenden Schreiben heißt es: "Die Arzneimittel sind - wie sich nunmehr herausgestellt hat - nicht nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ausreichend geprüft worden."

Die Zulassungen ruhen nun so lange, bis die Hersteller neue Studien vorlegen können, die die Wirksamkeit ihrer Medikamente belegen.

Alle betroffenen Medikamente sind Generika

Betroffen sind insgesamt 80 Arzneimittelzulassungen von 16 pharmazeutischen Unternehmen. Die Zulassungen beziehen sich auf 29 verschiedene Medikamente, die in unterschiedlichen Packungsgrößen und Dosierungen hergestellt wurden und für die es deshalb 80 Zulassungen gibt. Bei allen Medikamenten handelt es sich um Nachahmerprodukte, sogenannte Generika, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat oft in großer Zahl auf den Markt kommen.

Sämtliche der beanstandeten Zulassungsstudien hatte die indische Firma GVK Biosciences in Hyderabad durchgeführt. Doch diese Studien sind nach Ansicht des BfArM gefälscht. "Überall da, wo wir Zweifel haben oder hinreichende Belege für Manipulationen, haben wir das Ruhen der Zulassung angeordnet", sagte ein Sprecher. Im Schreiben des BfArM an die vom Zulassungsstopp betroffenen Firmen heißt es: "Der systematisch und über eine lange Zeitdauer auftretende Fehler und die Anzahl der beteiligten Mitarbeiter lassen auf gravierende Mängel des bei der Fa. GVK Biosciences angewendeten Qualitätssystems schließen."

Risiken hätten auffallen müssen

Das BfArM betont, dass für die Patienten keine Gesundheitsgefahr bestehe. Risiken hätten sonst bereits auffallen müssen. Die Firma GVK Biosciences hat Probleme mit ihren Daten inzwischen eingeräumt, aber darauf verwiesen, dass diese für die Studien nicht von Belang gewesen seien. Die Firma erklärte sich aber am Montag während einer Pressekonferenz bereit, die Studien dennoch zu wiederholen. Dies könne allerdings zwischen zwölf und 15 Monate in Anspruch nehmen.

Die Medikamente, deren Zulassung nun ruhen, werden gegen eine Vielzahl von Krankheiten verschrieben - darunter Depressionen, Angststörungen, Parkinson, Migräne und Bluthochdruck. Auch Antibiotika sind darunter und ein Mittel, das die Immunabwehr nach Transplantationen unterdrückt. Unter den betroffenen Firmen sind das Augsburger Unternehmen Betapharm, das 17 Zulassungen für fünf Medikamente ruhen lassen muss, und die inzwischen zur indischen Torrent Group gehörende Firma Heumann Pharma aus Nürnberg mit 13 Zulassungen für fünf Medikamente.

Der Geschäftsführer von Betapharm hatte einem Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung bereits in der vergangenen Woche bestätigt, dass seine Firma mit GVK Biosciences zusammengearbeitet habe. Betapharm habe aber von etwaigen Manipulationen in den Daten nichts gewusst, so der Geschäftsführer: "Die Studien kamen uns sauber vor."

"Einen Stopp für so viele Zulassungen - das hatten wir noch nie", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom pharmakritischen "Arznei-Telegramm". Für die Patienten sei das Problem aber gering, sagte er, da es sich um Nachahmerprodukte handele: "Diese Wirkstoffe gibt es von vielen anderen Firmen. Die Patienten werden relativ leicht auf ein anderes Präparat wechseln können." Dennoch sei der Fall eine Warnung, dass generell härter durchgegriffen werden müsse, so Becker-Brüser. Pharma-Studien in Schwellenländern wie Indien seien sehr kritisch zu bewerten. "Das ist ein Pulverfass", so der Pharma-Experte.

Der Gesundheitsökonom Gerd Glaeske von der Universität Bremen forderte darüber hinaus, dass wesentliche Studien nicht mehr allein dem Hersteller überlassen werden dürfen. Wichtige Tests sollten die Zulassungsbehörden selbst vornehmen und nicht nur auf dem Papier prüfen. "Wir sehen immer wieder, dass Studienergebnisse, die von Herstellern produziert werden, oftmals sehr viel besser aussehen als das, was anschließend von unabhängiger Stelle nachvollzogen wird", sagte Glaeske auf NDR Info.

Verdacht besteht weiter

Insgesamt hatte das BfArM 176 nationale Zulassungen von 28 pharmazeutischen Unternehmen überprüft. Sämtliche Patienten-Studien für diese Zulassungen stammten von GVK Biosciences aus den Jahren 2008 bis 2013. Es habe Hinweise gegeben, dass die Manipulationen bei GVK Biosciences erst 2008 begonnen haben, so der BfArM-Sprecher.

Etwa die Hälfte der ursprünglich 176 in Verdacht geratenen Zulassungen kann nun aber weiterhin bestehen. In diesen Fällen konnten die Unternehmen entweder weitere Zulassungsstudien vorlegen, die nicht von GVK Biosciences vorgenommen worden waren. Oder die Studien waren korrekt oder in Bereichen manipuliert, die keine Auswirkungen auf die pharmazeutische Bedeutung der Studie hatten.

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit insgesamt 1250 Zulassungen. Sie will im Januar ihren Bericht vorlegen. Dann wird die EU-Kommission über das Schicksal der betroffenen Medikamente entscheiden.

Anders als das BfArM, das nur Generika unter die Lupe genommen hat, überprüft die Ema auch Originalpräparate, deren Zulassungsstudien von GVK Biosciences stammen. Hersteller erwirken für solche forschungsträchtigen Neu-Arzneien in der Regel keine nationale Zulassung etwa durch das BfArM, sondern gleich eine europäische Zulassung. Ziel sei es, alle Medikamente zu identifizieren, die aufgrund einer Studie von GVK Bio zugelassen worden seien, sagte eine EMA-Sprecherin.

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