Geburtshilfe:Wo keine Babys mehr geboren werden

Sonnenuntergang auf Sylt

Zwei Männer, ein Hund kein Kind: Auch auf Sylt werden bald keine Kinder mehr geboren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Geburtshilfe ist in vielen Teilen Deutschlands in der Krise. In kleineren Gemeinden gibt es längst keine Entbindungsstationen und Fachärzte mehr. Das spüren auch die Friesischen Inseln oder gar Helgoland - und stehen vor einem besonderen Problem: Wie sollen Schwangere mit Wehen das Meer überqueren?

Von Charlotte Parnack

Er war auf Helgoland geboren, aufgewachsen auf dem roten Felsen, und wer weiß, vielleicht hätte er sonst nie seine Bücher von den Hummerklippen geschrieben oder die Geschichten vom Urgroßvater im Leuchtturm oder Zeilen wie diese: "Irgendwo ins grüne Meer / hat ein Gott mit leichtem Pinsel / lächelnd, wie von ungefähr / einen Fleck getupft: die Insel."

Aber die Insel, auf welcher James Krüss 1926 zur Welt kam, hat sich längst damit abgefunden, dass dort keine Kinder mehr geboren werden: Seit 2004 gibt es keine "echten" Helgoländer mehr. In Deutschland wird Insel um Insel von den Geburtshelfern verlassen, die meisten nahmen den Wegzug schweigend hin. Sylt nicht.

Dort stopfte sich Bürgermeisterin Petra Reiber am Wochenende ein Kissen unter den Pullover, griff zum Megafon und rief vor 400 Demonstranten: "Die Abschaffung der Geburtshilfe ist ein Skandal." Vor ihr wedelten Frauen mit Schildern voller Pessimismus: "Keine Geburten, keine Kinder, keine Zukunft". Oder: "Sylter sterben aus". Stellvertretend für die deutschen Inseln ficht Sylt den Kampf aus: ob es noch gebürtige Insulaner in Deutschland geben kann oder nicht.

Es sieht nicht gut aus. Das liegt an zu hohen Haftpflichtprämien und zu wenigen Fachärzten. 80 bis 100 Kinder wurden bislang jährlich auf Sylt geboren, zwei externe Belegärzte arbeiten im Krankenhaus des Inselhauptorts Westerland. Doch damit soll 2014 Schluss sein. Dann schließt Klinikbetreiber Asklepios die Geburtshilfe auf Sylt.

"Wegen verschärfter Anti-Korruptions-Regeln darf die Klinik nicht mehr die Haftpflichtversicherung der externen Frauenärzte übernehmen", sagt Asklepios-Sprecher Rudi Schmidt. Die Prämie koste aber bis zu 40.000 Euro im Jahr. In ganz Deutschland hören deshalb Belegärzte auf, auch auf Sylt hat einer der zwei Gynäkologen seinen Rückzug angekündigt.

Ein Gynäkologe für die gesamte Insel

"Der letzte verbliebene Arzt muss also an mehr als 300 Tagen eine 24-Stunden-Rufbereitschaft allein abdecken", sagt Schmidt. Das könne das Krankenhaus nach einem Todesfall 2012 nicht verantworten.

Dazu aber, eigene Geburtshelfer anzustellen, sind die Häuser oft nicht verpflichtet. Auf Sylt, Föhr oder Norderney etwa bestimmt der Krankenhausplan der Länder lediglich, dass Kliniken die Infrastruktur für externe Gynäkologen und Hebammen vorhalten müssen. Auf den übrigen Nord- und Ostfriesischen Inseln ist nicht einmal das vorgeschrieben. Dort kommen seit Jahren keine Inselbabys mehr zur Welt.

Für die Klinikbetreiber ist das nur logisch - Orte mit so wenig Einwohnern wie Sylt bräuchten die Abteilungen ebenso wenig wie andere kleinere Gemeinden. Die Insulaner aber verweisen auf das Problem, mit Wehen das Meer zu überqueren.

Speziell für die Sylter ist eine Geburtshilfe zudem nicht nur eine Frage der Identität, sondern auch der Attraktivität. Heute schon pendeln täglich 3000 aufs Festland abgewanderte Sylter, die sich die Preise dort nicht mehr leisten können, zur Arbeit auf die Insel. "Ohne Geburtshilfe", rief am Samstag eine Demonstrantin, "wird es noch schwerer, Familien herzulocken." Also nicht nur reiche Touristen. Sondern echte Insulaner, die den wie von ungefähr getupften Fleck zu jeder Jahreszeit ertragen.

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