Geburten in Landau:Hochburg des Kaiserschnitts

Geburt per Kaiserschnitt

Deutschlandweit steigt die Rate der Kaiserschnitte.

(Foto: dpa)

In Deutschland kommt mittlerweile jedes dritte Kind per Skalpell zur Welt. Doch nirgendwo ist die Kaiserschnitt-Rate so hoch wie in Landau in der Pfalz. Ein Besuch in einer Stadt, die um Erklärungen ringt.

Von Karoline Meta Beisel

Winter in Landau, ein Seminarraum in der Pflegeschule des Krankenhauses. Dicke Daunenjacken spannen über dicken Frauen-Bäuchen, Männer rutschen unsicher auf ihren Stühlen herum. Es ist Kreißsaalführung im Vinzentius-Krankenhaus. Knapp 25 Elternpaare sind gekommen, um den Ort zu besichtigen, an dem vielleicht bald ihr Kind zur Welt kommen soll. Nach dem Vortrag zeigt die Hebamme die Gebärzimmer. Alles ist neu, warme Farben, weiches Licht. Es riecht kein bisschen nach Krankenhaus. Das hilft, den Schwangeren die Angst vor der Geburt zu nehmen.

In Landau könnte man ganz wunderbar ein Kind zur Welt bringen, so scheint es. Aber wenn es stimmt, was die Bertelsmann-Stiftung über die Frauen aus Landau herausgefunden haben will, wird nur die Hälfte der Schwangeren all die Hilfen, die Gebärhocker und -wannen nutzen, um ihr Kind auf natürlichem Weg auf die Welt zu bringen: Jedes zweite Landauer Kind kommt per Kaiserschnitt zur Welt.

In ganz Deutschland steigt die Kaiserschnitt-Rate. 2011 kamen 32,1 Prozent aller Kinder durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Das sind mehr als doppelt so viele wie noch vor zwanzig Jahren. Aber die Kaiserschnitte sind nicht gleichmäßig auf das Bundesgebiet verteilt: In manchen Gegenden in den neuen Bundesländern wird nicht mal jedes fünfte Kind durch einen Kaiserschnitt auf die Welt geholt, anderswo sind es dreimal so viele. Und nirgendwo sind es so viele wie hier, in Landau.

Landau ist eine kreisfreie Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, 35 Kilometer nordwestlich von Karlsruhe. Die 45.000-Einwohner-Stadt ist berühmt für ihren Weinbau - und für ein paar alte Gags in der Harald-Schmidt-Show, in denen es auch um die Kinder von Landau ging.

Das Vinzentius-Krankenhaus liegt am südlichen Stadtrand. Man müsste dort eigentlich wissen, warum gerade hier so viele Mütter mittels Kaiserschnitt entbunden werden. Denn seit 2010 die Geburtshilfe-Abteilung im städtischen Krankenhaus geschlossen wurde, gibt es in Landau nur noch dieses eine Krankenhaus, in dem Kinder zur Welt kommen.

Das heißt nicht, dass das Vinzentius-Krankenhaus allein für die hohe Rate zuständig wäre. Die Studie bezieht ihre Zahlen nicht auf den Geburtsort des Kindes, sondern auf den Wohnort der Mutter. Landauer Neugeborene werden also auch in die Statistik aufgenommen, wenn sie in den Nachbarorten Kandel oder Germersheim zur Welt gekommen sind. Trotzdem: Auch am Vinzentius-Krankenhaus, wo 2011 mehr als 900 Kinder geboren wurden, liegt die Rate mit 45 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Und auch hier ist die Rate in den vergangenen Jahren um ein Drittel gestiegen.

Werden hier mehr Risikoschwangerschaften behandelt?

Nun kann man sich fragen, was schlimm daran sein soll, wenn immer mehr Frauen ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen; sogar so viele, dass Hebammen Krankenhäuser, die sich um die natürliche, vaginale Geburt bemühen, als "alternativ" bezeichnen. Die Folgen für das Kind sind noch kaum geklärt. Jüngere Studien deuten darauf hin, dass Kaiserschnitt-Kinder häufiger an Asthma, Allergien oder Diabetes leiden. Für die Mutter aber, das ist gewiss, bedeutet ein Kaiserschnitt eine schwere Bauchoperation mit allen Risiken, die solch eine OP mit sich bringt. Nicht wenige Mütter leiden außerdem psychisch unter einem Kaiserschnitt: Sie werfen sich vor, in ihrem Leben als Mutter schon den Start komplett vergeigt zu haben.

Als bekannt wurde, dass Landau in der bundesweiten Statistik ganz vorne liegt, teilte das Krankenhaus mit: Man lege besonderen Wert auf die Betreuung von Risikoschwangerschaften, also Mehrlings- und Frühgeburten oder Schwangerschaften von chronisch kranken Frauen. "Wenn die im Krankenhaus sagen, das liegt an den Risikoschwangerschaften", sagt eine Hebamme aus der Stadt, "fragen Sie nach Zahlen". Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, keiner hier will das, wenn er überhaupt etwas sagt: Zu klein ist der Kreis derer, die mithelfen, die Kinder von Landau auf die Welt zu bringen. Wer auf gute Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus angewiesen ist, hält sich bedeckt.

Also die Frage an den Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe, Bernd-Dieter Stutz: Wie viele Risikoschwangerschaften gibt es bei ihnen? "Unser Anteil an Risikogeburten ist im Vergleich zu Einrichtungen mit einer ähnlichen Geburtenzahl kaum erhöht", sagt Bernd-Dieter Stutz. Wenn es aber nicht an den Frühchen, den Mehrlingsschwangerschaften und anderen besonderen Schwangerschaftsverläufen liegt, woran dann?

Schwangerschaft als pathologischer Zustand

"Den Frauen ist das Gefühl für ihren Körper verloren gegangen", sagt Gabriele Bauer, die Vorsitzende des Hebammenverbandes in Rheinland-Pfalz. "Schwangere machen sich vor der Geburt wegen jeder Kleinigkeit völlig verrückt, anstatt spazieren zu gehen, guter Dinge zu sein und zu warten, bis es wirklich losgeht." Wenn es dann tatsächlich so weit ist, seien die Frauen oft so erschöpft, dass sie eine normale Geburt körperlich kaum noch aushalten.

Die Schwangerschaft als pathologischer Zustand, davon kann fast jeder berichten, in dessen Umfeld schon mal ein Kind geboren wurde. Gabriele Bauer erzählt von Schwangeren, die so vorsichtig sind, dass sie sich schon Monate vor der Geburt beurlauben lassen. Es gibt Mütter, die würden ihr Kind nie in einem Krankenhaus zur Welt bringen wollen, in dem es keine Säuglings-Intensivstation gibt. Dabei gibt es bei einer normal verlaufenden Schwangerschaft eigentlich keinen Grund für solche Vorsichtsmaßnahmen. Auch bei der Landauer Kreißsaalführung wird damit geworben, dass die Kinderklinik gleich im Haus und im Notfall ein riskanter Transport von einer Klinik zur nächsten damit unnötig sei. Trotzdem: Die Unsicherheit der Mütter mag ein Grund dafür sein, warum die Kaiserschnitt-Rate insgesamt steigt. Warum sie gerade in Landau besonders hoch ist, erklärt sie nicht.

Krankenhäuser bekommen von den Kassen für einen Kaiserschnitt mehr Geld als für eine normale Geburt: zwischen 1200 und 1800 Euro für eine vaginale Entbindung einerseits und zwischen 2300 und 5000 Euro andererseits für einen Kaiserschnitt. Das hat der Deutsche Hebammenverband 2010 für Rheinland-Pfalz ermittelt. Deswegen sagt Petra Kolip, eine der Autorinnen der Kaiserschnitt-Studie, dass eine hohe Kaiserschnitt-Rate auch die Gesellschaft als Ganzes teuer zu stehen kommt. Die Krankenkassen hätten allein im Jahr 2010 50 Millionen Euro weniger ausgeben müssen, wenn nur jede vierte Geburt ein Kaiserschnitt gewesen wäre, sagt Petra Kolip.

Es ist aber zu kurz gegriffen, Geld allein für die Kaiserschnitte verantwortlich zu machen. Bei so eine Operation braucht man auch mehr Ärzte, mehr Material, und später mehr Nachsorge als bei einer natürlichen Geburt. Ein Kaiserschnitt kostet also tatsächlich auch mehr.

Erfahrungen für schwierige Geburten fehlen

Viele sehen den eigentlichen Vorteil der Kaiserschnitte in der Planbarkeit. Andererseits: Ob es in einer Gegend viele oder wenige Kaiserschnitte gibt, hängt der Studie zufolge vor allem mit den sogenannten "sekundären" Kaiserschnitten zusammen. Das sind die, bei denen das Skalpell erst dann zum Einsatz kommt, wenn die Geburt schon begonnen hat, also die Fruchtblase geplatzt ist oder die Wehen eingesetzt haben. Häufig sind es Fälle, in denen eine natürliche Geburt abgebrochen wird. Gerade die sekundären Kaiserschnitte lassen sich daher nur bedingt zeitlich planen.

Dass es in Landau so viele Kaiserschnitte gibt, hat sich auch im Ort herumgesprochen, nicht erst, seit die Lokalzeitung über die Studie berichtete und die Kliniken in der Umgebung den Artikel ans schwarze Brett gepinnt haben. Die Hebamme, die nicht genannt werden will, berichtet von einem Spruch, der in Landau kursiere: "Wenn du in Germersheim einen Kaiserschnitt bekommen hast, dann war er wirklich nötig."

Ist also ein Kaiserschnitt in Landau nicht immer nötig? Eine Frage, die man kaum beantworten kann: Welcher Kaiserschnitt verzichtbar ist und welcher nicht, das lässt sich mit dieser Absolutheit nur sehr selten klar feststellen. Petra Kolip und ihre Mitautoren stellen in ihrer Studie fest, dass neun von zehn Kaiserschnittgeburten eine sogenannte "weiche Indikation" zugrunde liegt, also eine Situation, in der die Wahl des Geburtsweges im Ermessen der Geburtshelfer liegt. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Kind in Beckenendlage, also "falsch" herum in der Gebärmutter liegt - eine vaginale Geburt ist dann schwieriger, aber häufig trotzdem möglich. Oder wenn eine Frau nach einem Kaiserschnitt erneut schwanger wird: Hält die Narbe? Welchen Weg Ärzte und Hebammen in solchen Situationen wählen, das ist entscheidend für die Rate.

Erfahrung der Geburtshelfer entscheidet

Landau in der Pfalz ist das eine Extrem, Dresden das andere. In Dresden ist die Kaiserschnitt-Rate so niedrig wie nirgendwo sonst in Deutschland, 2010 kamen hier nur 16,9 Prozent der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt. Selbst an der Uniklinik liegt die Quote unter dem Bundesdurchschnitt - dabei sind Universitätskrankenhäuser die erste Anlaufstelle für schwierige Geburten. Udo Nitschke ist Chefarzt in der Klinik für Geburtshilfe im städtischen Krankenhaus Dresden-Neustadt. Er sagt: "Die spontane, vaginale Geburt ist ein Erfolgsmodell, das sich über Millionen Jahre bewährt hat, deswegen hinterfrage ich jeden Kaiserschnitt." Ob es in einem Krankenhaus viele oder wenige Operationen gibt, hat seiner Meinung nach viel damit zu tun, wie erfahren die Geburtshelfer sind. Er zitiert den berühmten Gynäkologen Willibald Pschyrembel: "Man muss viel wissen, um wenig zu tun." Auch, weil die Angst vor einem Haftungsfall immer mit in den Kreißsaal kommt.

Genau das aber ist das Problem an der weiter steigenden Kaiserschnittrate: Irgendwann geht das Wissen verloren, wie man auch schwierige natürliche Geburten so begleitet, dass am Ende eine gesunde Mutter ein gesundes Kind im Arm halten kann. Dann können auch die künftigen Hebammen und Ärzte nicht mehr so gut ausgebildet werden, der Effekt verstärkt sich - wie bei einem Pendel, das immer weniger ausschlägt, immer mehr Schwung verliert und irgendwann ganz zum Stillstand kommt.

Diesen Zusammenhang hat man auch in Landau erkannt. Kinder in Beckenendlage zum Beispiel wurden dort jahrelang nur per Kaiserschnitt entbunden. "Die nötige Erfahrung für die vaginale Geburt müssen wir jetzt erst wieder erlangen", sagt Bernd-Dieter Stutz. Man habe mit Gegenmaßnahmen begonnen, um die Kaiserschnittrate zu senken. Zum Beispiel gebe es jetzt häufiger Notfalltrainings für die Geburtshelfer. Mütter, die nach einem Kaiserschnitt erneut schwanger werden, würden eingehender beraten als zuvor, auch solche Schwangere, die von vorneherein einen Kaiserschnitt wollen, weil sie Angst haben.

Das ist das Vertrackte an der Geburt, diesem primitiven Vorgang, in dem der Mensch dem Tier so ähnlich ist: Die Natur hat alles so eingerichtet, dass die Mutter alleine klarkommt. Der Vorgang an sich hat sich nicht verändert. Nur das Vertrauen geht verloren.

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