Süddeutsche Zeitung

Globale Gesundheit:Wie Gebärmutterhalskrebs weltweit verschwinden soll

Die WHO möchte das Zervixkarzinom eliminieren. Über ein extrem ehrgeiziges Projekt - und seine Chancen auf Erfolg.

Von Berit Uhlmann

Mitten in der Corona-Pandemie, in der Präventionsprogramme fast überall leiden, startet die Weltgesundheitsorganisation WHO ein ehrgeiziges neues Gesundheitsvorhaben. Sie will den Gebärmutterhalskrebs weltweit eliminieren - als erste Krebsart überhaupt. Eliminiation bedeutet, dass die Krankheit weit zurückgedrängt werden soll, die Auslöser aber nicht komplett verschwunden sein werden.

Die Auslöser sind in fast allen Fällen des Krebsleidens humane Papillomviren (HPV). Sie sind weltweit verbreitet und werden überwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen. Gegen die Erreger gibt seit mehr als zehn Jahren sichere und zuverlässige Impfstoffe. Zwar ist es noch zu früh, um den Effekt der Immunisierungen in der Krebsstatisitk zu sehen; die Karzinome brauchen oft Jahrzehnte, um zu wachsen. Aber es ist gezeigt worden, dass die HPV-Impfung Infektionen und Krebsvorstufen deutlich reduzieren kann.

Damit setzt die WHO-Strategie, der die 194 Mitgliedstaaten zugestimmt haben, vor allem auf einen massiven Ausbau der HPV-Impfungen. Bis 2030 sollen weltweit 90 Prozent aller 15-jährigen Mädchen gegen die Krebs auslösenden Viren geimpft sein.

Gemessen am derzeitigen Stand ist das Projekt extrem ambitioniert. Bislang sind der WHO zufolge weltweit etwa 15 Prozent der Mädchen vollständig gegen HPV geimpft. Auch viele Industriestaaten sind weit vom Zielwert entfernt: In Deutschland beispielsweise haben weniger als 45 Prozent der weiblichen 15-Jährigen das Vakzin erhalten.

Gleichzeitig setzt die WHO-Strategie darauf, dass 70 Prozent der Frauen zwischen 35 und 45 Jahren auf die HP-Viren getestet werden und 90 Prozent aller Infizierten und Krebskranken behandelt werden. In Deutschland ist der HPV-Test seit diesem Jahr Standard - neben dem Pap-Abstrich, den Frauen hierzulande schon lange jährlich wahrnehmen können.

Diesem seit Jahrzehnten etablierten Krebs-Screening verdanken die Industrieländer einen deutlichen Rückgang der Neuerkrankungen. In weniger entwickelten Staaten ist die klassische Krebsvorsorge jedoch rar. 80 Prozent der Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern haben noch nie in ihrem Leben einen Krebsabstrich bekommen.

Australien will das Ziel zuerst erreichen

Somit ist das Zervixkarzinom vor allem in den ärmeren Regionen der Welt ein großes Problem. Schätzungen zufolge treten weltweit knapp 600 000 neue Fälle pro Jahr auf; 80 Prozent davon in ärmeren Staaten. Etwa jede zweite erkrankte Frau stirbt.

Die hohe Opferzahl sei eine Folge davon, dass das Zervixkarzinom jahrzehntelang von den Akteuren der globalen Gesundheit vernachlässigt wurde, sagte die WHO-Vizedirektorin Princess Nothemba Simelela: "Aber das Drehbuch kann neu geschrieben werden."

Die WHO geht davon aus, dass mit der neuen Strategie bis 2050 global gesehen 40 Prozent aller Neuerkrankungen und fünf Millionen Todesfälle verhindert werden. In 100 Jahren wäre die Krankheitslast dann um mehr als 90 Prozent reduziert.

Sehr viel früher will Australien der Welt zeigen, dass der Sieg über die Frauenerkrankung gelingen kann. Das Land setzt seit Jahren konsequent auf HPV-Impfungen und Tests. Die Zahl der neuen Krebsfälle ist deutlich zurückgegangen. Mittlerweile ist Australien zuversichtlich, bis 2035 der erste Staat der Welt zu sein, der den Krebs des Gebärmutterhalses bis auf wenige Fälle eliminiert hat.

Doch für andere Regionen dürfte der Kampf gegen das Leiden sehr viel schwieriger sein. Mehr als 70 Prozent der ärmeren Länder hatten im Januar 2020 noch gar keine HPV-Impfungen eingeführt. "Wie sinnvoll ist es, ein einziges Ziel für alle Länder auszugeben - ungeachtet der großen Unterschiede in den Krebsraten?", hieß es Anfang des Jahres in einem Kommentar im Fachblatt Lancet. Ambitionierte Ziele helfen dabei, Länder und Akteure zu ermutigen, Ressourcen zu beschaffen und Erfolg zu messen, schrieb Vivien Davis Tsu, Expertin für globale Gesundheit an der Universität Washington: "Es besteht jedoch auch das Risiko, dass sie als unrealistisch, unerreichbar oder ungerecht wahrgenommen werden."

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