Süddeutsche Zeitung

Sportmedizin:Mit krummen Knochen aufs Siegertreppchen

  • Eine medizinische Datensammlung zeigt, dass Fußballer - zumindest auf Leistungssportniveau - häufiger O-Beine haben.
  • Auch wenn Experten einen ursächlichen Zusammenhang in diesem Fall bezweifeln, gibt es zahlreiche Beispiele für typische Deformationen durch Sport.

Von Werner Bartens

Manche Wortpaare gehören im Fußball zusammen. So ist der Begriff Abstiegskampf untrennbar mit dem 1. FC Nürnberg verbunden, genauso wie das Pärchen HSV und Fehlkalkulation eine Einheit bilden oder: O-Beine und Fußballer. Laufen elf Kicker einer Startformation ins Stadion ein und einer von ihnen hat O-Beine, wird dieser zuverlässig das Etikett "typischer Fußballer" bekommen - auch wenn die anderen zehn Profis auf vergleichsweise geraden Beinen dem Ball nachjagen.

Nur zu verständlich ist daher, wenn Mediziner diesen Zusammenhang genauer untersuchen. Gerade haben Ärzte der Arbeitsgruppe 3-D-Chirurgie von der Ludwig-Maximilians-Universität München Daten vorgestellt, die nahelegen, dass Fußballer - zumindest auf Leistungssportniveau - häufiger O-Beine haben. Bei manchen Profis wie dem Ex-Nationalspieler Pierre Littbarski sind die Beine ja so stark nach außen gekrümmt, dass bei genauem Zielen ein Ball durchpassen würde.

"Der Hauptgrund dafür scheint in den noch aktiven, offenen Wachstumsfugen begründet, die sich bei Jungen erst mit dem 16. Lebensjahr schließen", so Studienautor Florian Wolf. "Möglicherweise entstehen durch intensives Training bei wiederholten Mikrotraumata schädigende Effekte am Schienbeinkopf. Daraus könnten später Deformitäten am Schienbein resultieren." Weil die Strukturen an der Innenseite des Kniegelenks durch O-Beine stärker belastet würden, drohen womöglich früher Beschwerden, und eine Arthrose wird wahrscheinlicher.

Das sind viele Konjunktive auf einmal, und so hat der Fachartikel im Deutschen Ärzteblatt, auf dem die Daten größtenteils beruhen, bereits vergangenes Jahr zu Kontroversen geführt. "Die Hälfte aller jungen Erwachsenen hat eh keine geraden Beine", sagt Marcus Schiltenwolf von der Uniklinik Heidelberg, der dort die Abteilung für Konservative Orthopädie leitet. "Aber nur ein kleiner Bruchteil von denen betreibt Fußball auf Leistungssportniveau."

Dass Fußball oder Reiten die Ausbildung von O-Beinen fördere, sei deshalb eine populäre Hypothese, aber nicht wissenschaftlich seriös belegt. Ebenso wenig sei sicher, dass Menschen mit O- oder X-Beinen öfter an Arthrose leiden. Schiltenwolf nennt solche Spekulationen "orthopädische Mythen", während umgekehrt nachgewiesen sei, dass eine Kniearthrose zu Fehlstellungen führe. Kommt es beispielsweise zu Knorpelverlust an der Innenseite des Knies, seien O-Beine die Folge.

Für Deformationen durch Sport sprechen weitere Beispiele, auch wenn hier ebenfalls bisher kein kausaler Zusammenhang belegt ist. So wird bei Speerwerfern, Delfinschwimmern und Turnern häufiger eine Fugenschluss-Störung der Lendenwirbelsäule beobachtet. Dass die ständige Überstreckung im Rücken die Verknöcherung der Wirbelkörper beeinträchtigen kann, ist naheliegend, aber eben nicht sicher. Unter manchen Akrobaten vom Chinesischen Staatszirkus wurde dieses auch als Spondylolyse bezeichnete Phänomen sogar auf mehreren Etagen an verschiedenen Wirbelkörpern beschrieben.

Schwimmer und Ruderer kennen den "Affenfaktor"

Was Ursache und was Wirkung ist, lässt sich nicht immer eindeutig klären. Womöglich hat die mangelnde Verknöcherung im Kreuz manche Turner und Artisten erst so gelenkig gemacht - und ihre originelle Beinform Fußballer unberechenbar. Ein Bein von Mané Garrincha, ein trickreicher Mannschaftskollege Pelés, war sechs Zentimeter kürzer als das andere; links hatte er ein O-Bein, rechts ein X-Bein. Demnach wären orthopädische Varianten im Sport nicht immer antrainierte Fehlformen, sondern manchmal anatomische Vorteile.

Schwimmer und Ruderer kennen beispielsweise den "Affenfaktor" - besonders lange Arme ermöglichen schnellere Zeiten. Australiens Schwimmlegende Ian Thorpe hat einige Weltrekorde wohl seiner Schuhgröße 52 zu verdanken. Umgekehrt schließen manche körperlichen Eigenheiten Medaillen aus. So wie aus einem Ackergaul kein Rennpferd wird, kann ein breitschultriger Hüne keine Marathonbestzeit erwarten. Und wer zu denen gehört, dessen Hüftkopf nicht die ideale Kugelform aufweist, sollte sich mit Kickboxen oder Karate zurückhalten. Die ruckartigen Trittbewegungen bis zum Anschlag des Gelenks können dann leichter dazu führen, dass die Gewebelippen an der Hüftpfanne reißen und Beschwerden drohen.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2019/hach
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