Funktion des Schlafes:Waschmaschine im Kopf

Schlaf läutert: In der Nacht spült das Hirn biochemischen Schrott aus seinem Inneren. Zumindest bei Mäusen konnten Forscher zeigen, dass die Nervenzellen während des Schlafes regelrechte Abwasserkanäle formen.

Von Patrick Illinger

Fast alle Lebewesen sind darauf angewiesen - Menschen, Tiere, womöglich sogar Pflanzen. Ohne Schlaf funktioniert die Biologie nicht, auch wenn es evolutionstheoretisch ein Rätsel ist: Schlafende Wesen sind schließlich verwundbar und müssten im Wettkampf der Spezies schlaflosen Räubern ausgeliefert sein. Warum dennoch fast alles, das läuft, krabbelt, fliegt und schwimmt, auch schläft - vom Pottwal bis zur Fruchtfliege -, ist bis heute nicht befriedigend geklärt.

Es gibt einzelne Erkenntnisse: So stärkt guter Schlaf das Langzeitgedächtnis, Traumata werden gelindert, und bei Braunbären verschwinden Wunden im Winterschlaf. Doch eine umfassende Erklärung fehlt.

Den oft psychologischen Deutungsversuchen fügen Forscher der Rochester-Universität in New York nun eine handfeste physiologische Erkenntnis hinzu: Im Schlaf verwandelt sich das Gehirn in eine Art Waschmaschine. Die Wissenschaftler beobachteten Gehirne von Mäusen und stellten fest, dass sich während des Schlafes die Nervenzellen zusammenziehen und Lücken schaffen, durch die mit der Gehirnflüssigkeit unbrauchbare und giftige Moleküle wie Abwasser aus dem Denkorgan gespült werden.

Offenbar handelt es sich dabei um tagsüber angehäuften biochemischen Schrott wie das Protein Beta-Amyloid, von dem man annimmt, dass es an der Alzheimerkrankheit beteiligt ist. Wie die Forscher im Fachblatt Science berichten, verfolgten sie die Wege von radioaktiv markierten Molekülen und merkten, dass die Abflussrate mancher Stoffe sich im Schlaf verdoppelt.

"Schlaf verändert die zelluläre Struktur des Gehirns. Es scheint in einen komplett anderen Zustand überzugehen", sagt die Leitautorin der Studie, Maiken Nedergaard von der New Yorker Rochester-Universität.

Das Geheimnis der Gliazellen

Eine entscheidende Rolle spielen hierbei die Gliazellen, welche im Gehirn etwa so zahlreich sind wie Nervenzellen und lange Zeit lediglich als Stützmaterial der Neuronen angesehen wurden. Erst im vergangenen Jahr hatte Nedergaards Arbeitsgruppe entdeckt, dass Gliazellen das hirneigene Abwassersystem steuern, indem sie schrumpfen und anschwellen. Dadurch entstehen größere und kleinere Kanäle zwischen den Nervenzellen.

Die Kontrolle der Gliazellen übernimmt offenbar der Botenstoff Noradrenalin. Nachdem die Wissenschaftler dieses Molekül im Körper wacher Mäuse blockierten, wurden die Nager ohnmächtig und der Waschmaschinen-Effekt im Gehirn setzte ein.

Anders als der Rest des Körpers verfügt das Hirn nicht über ein reinigendes Lymphsystem. Dort wie im Rückenmark übernimmt die Gehirnflüssigkeit die Rolle eines Spülmittels. Die Forscher färbten diesen Liquor cerebrospinalis ein und beobachteten zunächst, dass das Gehirn im Schlaf deutlich stärker durchgespült wird. Zugleich maßen sie mit Elektroden die Abstände zwischen Nervenzellen und stellten fest, dass diese im Schlaf - und übrigens auch unter Narkose - bis zu 60 Prozent größere Lücken schufen.

Interessant ist, dass Menschen über viel mehr Gliazellen verfügen als Tiere. Dabei geht es offenbar nicht nur darum, das sensible und aufwendige Nervenkostüm des Menschen zu stützen, sondern auch nachts allerlei Müll aus dem Kopf zu beseitigen.

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