Auf die richtige Dosis kommt es an. Das ist nicht nur eine Alltagsweisheit, die für Essen, Schlafen, Lieben, und Sport treiben gilt. Sie spielt auch für die optimale Behandlung von Patienten eine wichtige Rolle. Wer als Arzt viel Erfahrung hat und oft Kranke mit diffizilen Leiden versorgt, kann dies zumeist auch besser - zum Vorteil der Patienten. Doch die triviale Erkenntnis, dass Übung den Meister macht, ist in der Medizin nicht leicht umzusetzen. Finanzielle Erwägungen und juristische Streitereien stehen dem oftmals dagegen.
In dieser Woche hat das Gremium, das über die Erstattung medizinischer Leistungen entscheidet, einen Schritt in Richtung mehr Patientenschutz getan. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte neue "Mindestmengen", so heißt der bürokratische Fachausdruck, für diverse Eingriffe fest. Die Regelungen für komplexe Eingriffe an der Speiseröhre und für die Versorgung von besonders kleinen Neugeborenen mit einem Gewicht unter 1250 Gramm wurden überarbeitet.
Pädiatrie:Was Frühchen fühlen
Früher dachten Mediziner, dass Neugeborene noch keine Schmerzen empfinden können. Das weiß man heute besser. Wie versucht wird, sie selbst bei Frühchen möglichst genau zu erfassen.
Auf Grundlage aktueller Studien erhöhte der G-BA die geforderte Mindestmenge für Operationen am Ösophagus von derzeit zehn auf 26 pro Jahr und Krankenhaus. Zentren, die stark untergewichtige Neugeborene betreuen dürfen, müssen künftig mindestens 25 solcher Kinder pro Jahr und Standort versorgen und nicht mehr nur 14. "Der G-BA berücksichtigt bei seinen Mindestmengenregelungen den wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Qualität des Eingriffs", heißt es. "Um Patienten sicherer und risikoärmer zu behandeln, sollen besonders schwierige planbare Eingriffe nur in jenen Kliniken vorgenommen werden, die damit ausreichend Erfahrung haben."
Die Veränderungen werden nicht sofort, sondern erst schrittweise in den nächsten Kalenderjahren umgesetzt. Ab 2023 gilt eine jährliche Mindestmenge von 26 Eingriffen pro Krankenhausstandort für Operationen an der Speiseröhre. Diese sind äußerst komplex, und die anatomische Lage vom Rachen über Hals, Brustkorb, Zwerchfell bis in den Magen erfordert oft ein interdisziplinäres Vorgehen. Daher gilt die Mindestmenge pro Klinikstandort und nicht für einzelne Ärzte.
Längere Wege für Patienten sind möglich, aber wahrscheinlich kein großes Problem
In der Folge müssen Patienten zwar womöglich längere Wege auf sich nehmen, wenn sie künftig die erfahrenen Zentren aufsuchen. "Für die Versorgung birgt eine längere Strecke nach wissenschaftlichen Analysen aber keine Risiken, da es sich ausschließlich um planbare Operationen handelt, nicht um Notfälle", so der G-BA. "Vielmehr überwiegt bei der Konzentration der Eingriffe auf weniger Standorte der zu erwartende Qualitätsgewinn: weniger Komplikationen und Todesfälle."
Die Versorgung von Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1250 Gramm war in den vergangenen Jahren besonders umstritten. Für diese extrem unreifen Frühgeborenen lag die Mindestmenge in Deutschland seit 2010 bei nur 14 Fällen pro Jahr und Klinik. Der G-BA erhöhte die Mindestmenge zwar noch im selben Jahr auf 30 Fälle pro Klinik. Zahlreiche Studien hatten schließlich schon damals belegt, dass es in Kliniken mit mehr Erfahrung weniger Todesfälle und Behinderungen bei den Frühgeborenen gab. Doch klagten mehrere Kliniken gegen die Erhöhung der Mindestmenge.
Bis zu 130 000 Euro können für die Behandlung eines besonders kleinen Frühgeborenen abgerechnet werden - lukrative Patienten drohten etlichen Krankenhäusern zu entgehen, wenn die neuen Mindeststandards wirksam geworden wären. Das Bundessozialgericht gab den Klägern recht, allerdings mit einer gewagten Begründung: So sei der Grenzwert von 30 willkürlich, weil ebenso gut 25 oder 50 festgelegt werden könnte. Allerdings gelten solche Grenzen beispielsweise auch für Laborwerte in der Medizin, für die Schwelle zum Übergewicht und für jedes Tempolimit, ohne dass deren Sinn in Frage gestellt würde.
Vor wenigen Wochen hatte eine große Analyse von mehr als 50 000 Geburten in Deutschland gezeigt, dass eine Klinik mindestens 50 bis 60 der absoluten Leichtgewichte jährlich behandeln sollte, damit die Aussichten für die Kinder optimal wären. Jedes Jahr würden sich 25 bis 40 Todesfälle unter den Frühchen auf diese Weise verhindern lassen. Bei einem Minimum von 50 Fällen pro Jahr könnte nur ein Viertel der Kliniken die Kinder auch weiterhin behandeln.
Die Versorgung von extremen Frühgeborenen stellt Krankenhäuser vor große Herausforderungen. Kinder wie Eltern brauchen eine intensive Betreuung durch interdisziplinäre Teams. Mit der erhöhten Vorgabe von 14 auf 25 Fälle wird dies stärker berücksichtigt, argumentiert der G-BA.
Ab 2024 dürfen daher nur noch jene Spezialkliniken die stark untergewichtigen Neugeborenen versorgen, die den erhöhten Mindestvorgaben entsprechen. Bis dahin gilt die bisherige Regelung. Der G-BA vermutet, dass mit den Anforderungen an die neue Mindestmenge die Anzahl der Zentren nur leicht sinken wird. "Die neue Standortverteilung und die veränderten Fahrtzeiten führen zu keinen zusätzlichen Risiken für Schwangere und Kinder", so das Gremium. "Aus den analysierten Studien wird sichtbar, dass der Gewinn an Versorgungsqualität diesen Umstand mehr als aufwiegt."