Medizin:Das 245-Gramm-Baby

Ärzte in San Diego bringen ein extrem leichtes Frühchen durch. Wie es dem Kind ergehen wird, ist kaum vorauszusagen.

Von Christina Berndt

Die Ärzte hatten die Eltern noch gewarnt: Wahrscheinlich werde ihr Kind die ersten 24 Stunden nicht überleben, sagten sie. Aber Saybie schaffte es. Weniger als ein Päckchen Butter wog sie bei ihrer Geburt, 245 Gramm, passte auf ein DIN-A4-Papier. Mit fast fünf Monaten und 2,5 Kilogramm sei das Kind, dessen richtiger Name geheim bleiben soll, nun entlassen worden, meldete ihre Geburtsklinik in San Diego, "gesund und glücklich". Sie sei damit das kleinste Baby, das je überlebt habe.

Den Tag von Saybies Geburt beschreibt ihre Mutter in einem Video als den schlimmsten ihres Lebens. Sie habe infolge einer Schwangerschaftsvergiftung einen so hohen Blutdruck, dass ihr Kind unverzüglich auf die Welt geholt werden müsse, offenbarten ihr da die Ärzte. "Ich dachte nur: Aber sie ist doch noch so klein", erzählt die Mutter. Die Schwangerschaft hatte zu dieser Zeit erst 23 Wochen und drei Tage gedauert, normal sind 40 Wochen. Doch zu entscheiden gab es in dem Moment nicht viel, der hohe Blutdruck hätte Saybie umgebracht.

Einmal auf der Welt, ließ das Mädchen alle staunen. "Sie war von Anfang an eine Kämpferin", berichtet Kim Norby, eine der Krankenschwestern. Der Arzt Paul Wozniak sagte: "Sie ist mit einem starken Herzen geboren." Bald war also klar: Dieses Kind würde überleben; anders als so viele, die so früh auf die Welt geholt werden.

"Ob das Kind beeinträchtigt ist, werden die Eltern erst in fünf Jahren wissen"

Anders als die Klinik meldete, ist Saybie wohl nur das zweitleichteste Frühchen, das je durchgekommen ist. Die Rekordhalterin ist Emilia, die nach Angaben ihrer Ärzte 2015 mit 229 Gramm in Witten an der Ruhr zur Welt kam. Aber Andrea Zimmermann, frühere Leiterin der Neugeborenenintensivstation am Münchner Klinikum rechts der Isar, weist darauf hin, es komme nicht darauf an, welche Klinik welches Baby mit welchem Gewicht durchbringt. Neuen Daten zufolge kommen inzwischen 60 Prozent der Babys durch, die zwischen der 23. und der 24. Woche geboren werden. Die Entscheidung, wie sehr um das Leben eines Kindes gerungen wird, sollte immer gemeinsam mit den Eltern gefällt werden, sagt Zimmermann - und vor allem berücksichtigen, wie es dem Kind geht. "Es gibt einfach Kinder, die einen unglaublichen Lebenswillen haben, und andere können noch nicht oder mögen auch nicht", meint auch Uwe Hasbargen, Leiter der Geburtshilfe am Münchner Klinikum Großhadern. Ärzte beobachteten immer wieder mit Staunen, dass Kinder nach ein bis zwei Tagen keine Kraft oder keinen Willen mehr haben. "Dabei geht es nicht nur darum, ob Herz oder Lunge funktionieren", sagt Hasbargen. "Wenn die Kinder aufgeben, muss man sie auch gehen lassen."

Wie es Saybie ergehen wird, ist kaum vorauszusagen. "Ob das Kind beeinträchtigt ist, werden die Eltern erst in fünf Jahren wissen", sagt Bettina Kuschel, Leiterin der Geburtshilfe am Klinikum rechts der Isar. "Die zarten, kleinen Frühchen sind durch Hirnblutungen extrem bedroht, weil die Hirngefäße noch ganz weich sind." Körperliche Behinderungen und kognitive Defizite können die Folge sein. Hinzu kämen oft Probleme mit Augen und Lungen. Für Saybies Mutter ist das unwesentlich: Ihre Tochter mag eines der winzigsten Kinder der Welt gewesen sein, sagt sie, aber sie sei vor allem: "mein Kind".

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