Süddeutsche Zeitung

Frei verkäufliche Schmerzmittel:Unterschätzte Gefahr

Rezeptfreie Schmerzmittel werden wie Zuckerpillen feilgeboten. Eine Warnung der US-Arzneimittelbehörde sollte Anlass geben, diese Praxis zu überdenken. Denn Ibuprofen und Co. können lebensgefährlich sein.

Ein Kommentar von Kathrin Zinkant

Wer eine Apotheke betritt, möchte in der Regel etwas kaufen, was es in Drogerie- oder Supermärkten nicht gibt. Zum Beispiel Schmerztabletten. Das hat seinen Grund, denn Medikamente haben Nebenwirkungen, und deshalb muss der Verkauf betreut werden. Was heute meist so abläuft: "Ich hätte gern eine Packung Aspirin und einmal Ibuprofen." "Je 20 Stück, oder 50? Ibuprofen ist im Angebot." "Oh, ach, dann gern 50 davon. Aspirin dann in klein." "Brauchen Sie eine Tüte? Ich pack noch was zum Lutschen dazu." Und los geht's mit der Selbstmedikation.

Natürlich weisen viele Apotheker ihre Kunden darauf hin, dass man trotz des Sonderangebots nur vier von den Ibus am Tag nehmen sollte, und das auch nicht länger als nötig. Trotzdem: Unkomplizierter als rezeptfreie Medikamente kann man heute kaum ein Pfund Aufschnitt kaufen. Und Gesundheitsexperten wird immer flauer dabei. Denn die Hinweise mehren sich, dass die Risiken und Nebenwirkungen, zu denen die meisten Patienten weder Arzt noch Apotheker befragen, auch bei Pharmazeutika ohne Verschreibungspflicht ernst zu nehmen sind.

Nun hat die Arzneimittelbehörde der USA (FDA) vor wenigen Tagen beschlossen, die Warnungen auf nicht-steroidalen Antiinflammatorischen Medikamenten (NSAID) zu verschärfen. Weil sich nach vielen Jahren des schwelenden Verdachts abzeichnet, dass diese Mittel das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle nicht nur vielleicht ein bisschen, sondern deutlich erhöhen. Deutlich genug, um bei vorbelasteten Patienten den Ausschlag für eine tödliche Nebenwirkung geben zu können.

Auch mit vermeintlich harmlosen Mittelchen kann man einiges falsch machen

Dass mit Schmerzmitteln der genannten Klasse nicht zu spaßen ist, mussten Patienten schon einmal erfahren: Rofecoxib, besser bekannt als Vioxx, wurde wegen eines dramatisch erhöhten Infarktrisikos vor elf Jahren vom Markt genommen. Jetzt betroffen ist mit Ausnahme von Aspirin die gesamte Palette von allzeit und in großer Menge erhältlichen Kopfweh-, Rückenpein- und Zahnschmerztabletten, also Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen. Die USA wollen das erhöhte Risiko künftig als faktisch auf den Packungen formulieren. Nicht, wie bisher, als nur möglich. Was an der Einnahmepraxis noch wenig ändern wird.

Aber auch in Deutschland hat es bereits eine - leider ergebnislose - Diskussion über eine verschreibungspflichtige Abgabe besagter Schmerzmittel gegeben. Die Rezeptfreiheit suggeriere dem Patienten, es handle sich um harmlose Mittelchen, mit denen man nichts falsch machen kann - hieß es damals. Aber man kann nun mal. Es wäre deshalb an der Zeit, die Debatte wieder aufzunehmen. Bevor die Erinnerung an Vioxx allzu lebendig wird.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2015/beu
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