Süddeutsche Zeitung

Bluttest-Skandal:Zeit abzutreten

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Der Direktor der Frauenklinik Heidelberg verantwortet einen Skandal, der den Ruf der Einrichtung beschädigt hat. Er sollte die Konsequenzen ziehen - und der Klinik einen Neuanfang ermöglichen.

Kommentar von Werner Bartens

Es gibt viele gute Gründe, in Heidelberg bleiben zu wollen - nicht nur die von diversen Dichtern besungenen Motive gehören dazu. Die vom Übertourismus gequälte Stadt am Neckar hat einen legendären Ruf; die örtliche Hochschule hatte ihn mal. Viele Fakultäten der ältesten Universität Deutschlands genießen zwar immer noch hohes Ansehen, doch die Universitätsmedizin leidet bis heute unter dem Bluttest-Skandal, der vor einem Jahr seinen Anfang nahm.

Verbunden ist die unselige Affäre vor allem mit einem Namen: Christof Sohn. Doch während an der Spitze von Universität und Klinikum reihenweise Führungskräfte gehen mussten oder von sich aus ihre Posten aufgaben, klammert sich der Direktor der Unifrauenklinik an seine Position. Nicht nur das: Als im Herbst der Abschlussbericht einer Untersuchungskommission veröffentlicht werden sollte, ließ Sohn gerichtlich untersagen, dass "Aussagen über einen der Beteiligten getätigt" werden. Das Klinikum musste die geplante Pressekonferenz absagen.

Führungskräfte in der Politik treten aus geringerem Anlass zurück

Kritik ist auf Sohn und das dilettantische Krisenmanagement des Klinikums von allen Seiten eingeprasselt, von Ärzten, Fachgesellschaften, Politikern und dem Aufsichtsrat der Klinik. Doch dass ausgerechnet derjenige, der als Posterboy in der Bild-Zeitung für den Bluttest posierte, weiterhin die einstmals renommierte Frauenklinik leitet und laut Vorlesungsverzeichnis Studierende über den "Stellenwert der Gynäkologie heute" aufklärt, empört viele inner- und außerhalb der Unistadt. Immerhin erwies sich der als "Weltsensation" angepriesene Test als unreif, ungenau und unsicher - das nebulöse Berater- und Firmengeflecht dahinter führte endgültig dazu, dass der geplante PR-Coup zum Desaster wurde.

Nun könnte man an Sohns Anstand appellieren. Führungskräfte in der Politik treten aus geringerem Anlass zurück. Doch einem Professor in Deutschland kann kaum jemand etwas anhaben, klaut er nicht die notorischen silbernen Löffel (die eh kaum eine Universität im Inventar hat). Das Beamtenrecht schützt ihn, zudem ist es manchem Fakultätsmitglied ganz recht, wenn ein Kollege angeschossen ist - der kann in universitären Gremien auf Jahre nichts mehr fordern, wenn es um den Anteil an Bauvorhaben, Fördermitteln oder zusätzlichen Stellen geht.

Natürlich gelten Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung auch an der Universität. Doch an kaum einer Einrichtung ist der juristische Werkzeugkasten so begrenzt, werden Machtmissbrauch, Rufschädigung und übergriffiges Verhalten begünstigt. Wenn das Beamtenrecht nicht reformiert wird, braucht es wenigstens abgestufte Instrumente, um Fehlverhalten besser sanktionieren zu können. Die Uniklinik Heidelberg hätte einen entsprechenden Neuanfang verdient.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2020
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