Süddeutsche Zeitung

Flugreisen:Kokolores beim Boarding

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Die gängige Praxis, Passagiere gruppenweise in den Flieger zu lassen, ist ineffektiv und erhöht womöglich die Ansteckungsgefahr.

Von Berit Uhlmann

Es mag durchdacht klingen, wenn die Wartenden auf dem Flughafen aufgefordert werden, sich doch bitte schön in Gruppen aufzuteilen und nach Reihen gestaffelt einzusteigen, damit am Ende alle schneller vorankommen. Doch wer zum Ferienende in einem überfüllten Terminal ansteht, kann beobachten, dass das System Tücken hat. Zu ihnen gehört auch ein bislang wenig beachtetes Problem, auf das US-Forscher hinweisen: Das weit verbreitete Gruppen-Boarding ist nicht nur nervig, sondern erhöht wohl auch die Infektionsgefahr.

Anhand von Computersimulationen zeigen Informatiker um Ashok Srinivasan von der Florida State University, dass sich die Reisenden beim blockweisen Einsteigen ganz besonders zusammenballen. Während die ersten Passagiere ihr Handgepäck in die Ablagen stopfen, bockige Kinder anschnallen und Tierkäfige unter den Vordersitz quetschen, drängen sich die anderen ungeduldig im Gang zusammen. In diesem Stau kommen sich die Passagiere so nahe, dass sich Krankheitserreger leicht verbreiten können.

Am größten ist das Infektionsrisiko den Modellrechnungen zufolge, wenn sich die Passagiere - wie in der Praxis häufig - in drei Gruppen aufteilen müssen. Als günstiger erweist sich der im Fachmagazin Physical Review erschienenen Studie zufolge, wenn die Kabine nicht von hinten nach vorn, sondern von rechts nach links aufgefüllt wird. Steigen zuerst die Passagiere der einen und anschließend die von der anderen Seite ein, erhöht sich die Chance, dass sie sich beim Einfädeln in die Sitzreihen über die ganze Länge des Fliegers verteilen - und damit die gefährliche Nähe reduzieren.

Welche Unterschiede die Boarding-Methoden ausmachen können, verdeutlichen die Wissenschaftler am Beispiel eines fiktiven Ebola-Ausbruchs von der Größe der Epidemie in Westafrika. Jeden Monat wären in diesem Szenario sieben Infizierte in einem Flugzeug unterwegs. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie in diesem Zeitraum mehr als 20 andere Fluggäste anstecken, beträgt nur 40 Prozent, wenn die Passagiere von rechts nach links einsteigen. Beim herkömmlichen Block-Boarding steigt sie auf 67 Prozent.

Nicht nur in Sachen Infektionsschutz schneidet das Einsteigen von hinten nach vorne schlecht ab. Auch die erhoffte Zeitersparnis wird nicht erreicht, wie verschiedene Studien ergeben haben. Je kleiner die einsteigenden Gruppen sind, umso länger dauert es, bis die Maschine endlich abheben kann. Denn während die Menschen vor nur wenigen Reihen warten, tut sich im Großteil des Flugzeugs gar nichts. Selbst unsystematisches Einsteigen geht schneller.

Besonders rasch ließe sich der Flieger füllen, wenn die Passagiere von außen nach innen platziert würden, schreiben Forscher der Universität Augsburg, die die bisherigen Studien im Fachblatt European Journal of Operational Research analysiert haben. Dann nämlich würde es nicht zu der unangenehmen Situation kommen, die wohl jeder Reisende schon einmal erlebt hat. Der eben erst auf seinem Platz am Gang eingerichtete Passagier muss wieder aufstehen, um den Gast mit dem Fensterplatz durchzulassen. Allerdings dürfte die Methode in der Praxis zu Problemen führen, weil sie zusammensitzende Familien beim Einsteigen auseinanderreißen würde. Die optimale Strategie, die Schnelligkeit, Bequemlichkeit und noch dazu dem Infektionsschutz gerecht wird, ist also noch nicht gefunden.

Sitzen die Passagiere aber erst einmal alle auf ihren Plätzen, lässt nicht nur der Stress, sondern auch die Ansteckungsgefahr nach. Die Enge in den Reihen ist nicht sehr viel größer als in anderen öffentlichen Einrichtungen wie Kinos oder Theatern. Außerdem filtern die Belüftungsanlagen einen guten Teil der Mikroben aus der Luft heraus. Beim Aussteigen kommt es dann nur noch selten zu neuen und damit potenziell gefährlichen Kontakten zu Mitreisenden.

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SZ vom 04.09.2017
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