Finanzkrise in Europa:Wenn Sparen tötet

Drogensucht in Griechenland nimmt zu

Ein Drogensüchtiger in Athen. Seit nicht mehr genug sterile Nadeln ausgeteilt werden, schnellt die HIV-Rate nach oben.

(Foto: AFP)

Prekärer Drogenkonsum, Millionen ohne Versicherungsschutz und Krankenhäuser, die an Drittewelthospitäler erinnern: Was derzeit in Griechenland zu beobachten ist, gilt auch für andere Länder und andere Zeiten. Sparprogramme kosten Menschenleben. Zwei Epidemiologen treten den Beweis an.

Von Alex Rühle

Was ist der Unterschied zwischen dem IWF und einem Vampir? Der Vampir hört auf, einem das Blut auszusaugen, wenn man tot ist. Kein subtiler Witz? Gudjun Magnusson stand der Sinn auch nicht nach subtilem Humor, als er ihn 2009 beim Europäischen Gesundheitsforum in Bad Gastein zum Besten gab. Der designierte isländische Gesundheitsminister hatte kurz zuvor erfahren, dass der IWF nach dem Bankenkollaps 30 Prozent Kürzungen im Gesundheitssektor des kleinen Landes forderte. Seinen Job konnte Magnusson dann nicht mehr antreten, er starb ein paar Tage nach seinem Auftritt in Bad Gastein an einem Herzinfarkt.

Ein paar Monate später kamen die Epidemiologen David Stuckler und Sanjay Basu nach Reykjavik und erzählten in einer Art Gedenkveranstaltung zu Magnussons Ehren von ihren Forschungen. Die beiden hatten jahrelang Daten und Statistiken durchforstet, um zu sehen, wie sich Wirtschaftskrisen auf die Gesundheit der jeweiligen Bevölkerung auswirken. Und um eine Antwort auf die uralte Frage zu erhalten, ab wann Sparen schädlich wird.

Seit Ausbruch der Finanzkrise tobt wieder der Glaubenskrieg zwischen jenen, die von den verschuldeten Staaten eine strikte Sparpolitik fordern und jenen, die sagen, Austerität sei kontraproduktiv, man brauche wirtschaftliche Anreize, um Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal wieder auf die Füße zu helfen. Gerne wird von den Befürwortern der Austeritätsprogramme die Metapher von der "bitteren Medizin" benutzt, die das Versprechen beinhaltet, dass der Patient nach dem unangenehmen Schlucken bald genesen werde.

Stuckler und Basu sind der festen Überzeugung, dass die Austeritätspille keine Medizin war, sondern reines Gift: "Recessions can hurt. But Austerity kills" - Rezessionen können schmerzhaft sein, aber die Austeritätspolitik tötet, so die Kernthese ihres Buchs "The Bodys Economic", in dem die beiden Gesundheitsökonomen und Statistiker ihre jahrelange Recherche zusammengefasst haben (Basic Books, 26,99 US-Dollar).

Fangen wir mit Griechenland an: 2009 musste Athen den Gesundheitsetat von 24 auf 16 Milliarden Euro kürzen. Danach schnellte die HIV-Rate hoch, weil nicht mehr genügend frische Nadeln an Drogensüchtige ausgeteilt werden konnten. Die Kindersterblichkeit ist um 40 Prozent gestiegen. In den Jahren 2010 und 2011 wurde weiter gekürzt, mit der Folge, dass es in vielen Krankenhäusern heute zugeht wie in Drittwelthospitälern, selbst einfachste Dinge wie Handschuhe, Desinfektionssprays und Schmerzmittel fehlen.

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