Süddeutsche Zeitung

Einstufung von Filmen:Die Spannung liegt in der Luft

  • Die Konzentration bestimmter, unmerklich abgesonderter Gase im Kinosaal gibt Aufschluss darüber, wie viel Stress die Zuschauer empfinden.
  • Solche Messungen könnten ein objektives Kriterium für die Bestimmung der Altersfreigabe sein.

Von Berit Uhlmann

Schon als Harry Potter noch klein und die sozialen Netzwerke dünn waren, waberte Empörung durch das Land. Am Anfang des Jahrtausends wollte man in den USA und in Deutschland die Werke um den Zauberlehrling komplett verbieten. Zu viel Okkultismus witterten Kirchen und konservative Politiker. Eltern dagegen befürchteten, dass all die Schlangen, Spinnen und schwarzen Magier den Kleinen den Schlaf rauben könnten.

Heute würde man vermutlich ähnlich erbittert und auf noch mehr Kanälen streiten. Denn die Frage, was Kindern an Schauer, Schlägereien und Sex zugemutet werden darf, ist weiterhin aktuell. So gesehen ist hochwillkommen, was Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz nun berichten. Zumindest für Kinofilme liegt die Lösung offenbar buchstäblich in der Luft: An den Ausdünstungen der Zuschauer lasse sich ablesen, wie stark ein Film den Nerven zusetzt, schreiben sie im Fachmagazin Plos One.

Herzen schlagen schneller, Zuschauer werden unruhig und schütten Isopren aus

Die Chemiker hatten die Konzentration verschiedener Gase in zwei Mainzer Kinosälen vermessen. Als besonders zuverlässiger Indikator erwies sich der Gehalt an Isopren, einem Kohlenwasserstoff. Der menschliche Körper speichert Isopren im Muskelgewebe. Kommt es zu Anspannungen der Muskeln, wird die Chemikalie über die Atmung und die Haut freigesetzt. "Offenbar rutschen wir im Kinosessel unwillkürlich hin und her oder spannen Muskeln an, wenn wir nervös und aufgeregt sind", erklärt Studienautor Jonathan Williams. In Kombination mit raschem Herzschlag und schnellem Atem sorgt das Gezappel im Zuschauerraum dafür, dass der Isoprengehalt messbar ansteigt, zum Beispiel wenn den Helden in "Tribute von Panem" Todesgefahr droht. Die Konzentration des Stoffes liegt auf deutlich niedrigerem Niveau, wenn "Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft" abgespult wird und die Kinder in ihren Sesseln lümmeln.

In einem zweiten Schritt haben die Chemiker die Konzentrationen des Stoffes mit den Altersfreigaben der untersuchten Filme verglichen. Dabei zeigte sich eine relativ starke Übereinstimmung. Filme, deren Besuch man schon Kleinkindern gestattet, führten zuverlässig zu niedrigeren Isoprenwerten als ein Thriller, der erst ab zwölf zugelassen ist. Das zeigte sich in verschiedenen Vorführungen mit unterschiedlichen Zuschauergruppen gleichermaßen.

Die Erkenntnisse ließen sich zur Festsetzung der Altersfreigabe heranziehen, schlagen die Autoren vor. Während die Entscheidung über das Mindestalter bisher auf subjektiven Eindrücken von Filmbewertern beruhe, könne die Analyse der Atemluft objektive Hinweise geben, argumentiert Williams. Man müsste ein repräsentatives Publikum in einen Saal setzen und die Luft per Massenspektrometer analysieren. Allerdings ist die Studie bislang nur ein proof of concept; sie zeigt, dass die Methode prinzipiell funktioniert. Um sie praxistauglich zu machen, müsste sie an einer größeren Zahl unterschiedlicher Filme getestet werden. In die aktuelle Untersuchung wurden nur elf Filme mit insgesamt 13 000 Zuschauern einbezogen. Wissenslücken bestehen vor allem noch bei Jugendfilmen. Erst wenn weitere Daten vorliegen, kann ernsthaft über eine chemisch bestimmte Altersgrenze gestritten werden.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2018
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